Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

neue Reisende ziemlich gleichartig beschrieben habena). "Nie
grauet ihr Haar, sagt Lery, sie sind stets munter und lu-
stig, wie ihre Gefilde immer grünen." Die tapfern Tapi-
nambos zogen sich, um dem Joch der Portugiesen zu ent-
kommen, in die undurchsuchten und unabsehlichen Wälder
wie mehrere streitbare Nationen. Andre, die die Mißionen
in Paraguai an sich zu ziehen wusten, musten mit ihrem
folgsamen Charakter fast bis zu Kindern ausarten; auch die-
ses aber war Natur der Sache und weder sie noch ihre mu-
thige Nachbarn können deswegen für keinen Abschaum der
Menschheit geltenb).

Aber wir nähern uns dem Thron der Natur und der
ärgsten Tyrannei, dem Silber- und Gräuelreichen Pe-
ru. Hier sind die armen Jndianer wohl aufs tiefste unter-
drückt und wer sie unterdrückt, sind Pfaffen und unter den
Weibern weibisch gewordne Europäer. Alle Kräfte dieser
zarten, einst so glücklichen Kinder der Natur, als sie unter
ihren Jnkas lebten, sind jetzt in das Einige Vermögen zu-
sammengedrängt, mit verhaltnem Haß zu leiden und zu

dulden.
a) Acunja, Gumilla, Lery, Marggraf, Condamine u. f.
b) Dobritzhoffer Gesch. der Abiponer, Wien 1783. Beschrei-
bungen mehrerer Völker sehe man in des P. Gumilla Orinoco
illustrado
u. f.

neue Reiſende ziemlich gleichartig beſchrieben habena). „Nie
grauet ihr Haar, ſagt Lery, ſie ſind ſtets munter und lu-
ſtig, wie ihre Gefilde immer gruͤnen.” Die tapfern Tapi-
nambos zogen ſich, um dem Joch der Portugieſen zu ent-
kommen, in die undurchſuchten und unabſehlichen Waͤlder
wie mehrere ſtreitbare Nationen. Andre, die die Mißionen
in Paraguai an ſich zu ziehen wuſten, muſten mit ihrem
folgſamen Charakter faſt bis zu Kindern ausarten; auch die-
ſes aber war Natur der Sache und weder ſie noch ihre mu-
thige Nachbarn koͤnnen deswegen fuͤr keinen Abſchaum der
Menſchheit geltenb).

Aber wir naͤhern uns dem Thron der Natur und der
aͤrgſten Tyrannei, dem Silber- und Graͤuelreichen Pe-
ru. Hier ſind die armen Jndianer wohl aufs tiefſte unter-
druͤckt und wer ſie unterdruͤckt, ſind Pfaffen und unter den
Weibern weibiſch gewordne Europaͤer. Alle Kraͤfte dieſer
zarten, einſt ſo gluͤcklichen Kinder der Natur, als ſie unter
ihren Jnkas lebten, ſind jetzt in das Einige Vermoͤgen zu-
ſammengedraͤngt, mit verhaltnem Haß zu leiden und zu

dulden.
a) Acunja, Gumilla, Lery, Marggraf, Condamine u. f.
b) Dobritzhoffer Geſch. der Abiponer, Wien 1783. Beſchrei-
bungen mehrerer Voͤlker ſehe man in des P. Gumilla Orinoco
illuſtrado
u. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0075" n="63"/>
neue Rei&#x017F;ende ziemlich gleichartig be&#x017F;chrieben haben<note place="foot" n="a)"><hi rendition="#fr">Acunja, Gumilla, Lery, Marggraf, Condamine</hi> u. f.</note>. &#x201E;Nie<lb/>
grauet ihr Haar, &#x017F;agt <hi rendition="#fr">Lery,</hi> &#x017F;ie &#x017F;ind &#x017F;tets munter und lu-<lb/>
&#x017F;tig, wie ihre Gefilde immer gru&#x0364;nen.&#x201D; Die tapfern Tapi-<lb/>
nambos zogen &#x017F;ich, um dem Joch der Portugie&#x017F;en zu ent-<lb/>
kommen, in die undurch&#x017F;uchten und unab&#x017F;ehlichen Wa&#x0364;lder<lb/>
wie mehrere &#x017F;treitbare Nationen. Andre, die die Mißionen<lb/>
in Paraguai an &#x017F;ich zu ziehen wu&#x017F;ten, mu&#x017F;ten mit ihrem<lb/>
folg&#x017F;amen Charakter fa&#x017F;t bis zu Kindern ausarten; auch die-<lb/>
&#x017F;es aber war Natur der Sache und weder &#x017F;ie noch ihre mu-<lb/>
thige Nachbarn ko&#x0364;nnen deswegen fu&#x0364;r keinen Ab&#x017F;chaum der<lb/>
Men&#x017F;chheit gelten<note place="foot" n="b)"><hi rendition="#fr">Dobritzhoffer</hi> Ge&#x017F;ch. der Abiponer, Wien 1783. Be&#x017F;chrei-<lb/>
bungen mehrerer Vo&#x0364;lker &#x017F;ehe man in des P. <hi rendition="#fr">Gumilla</hi> <hi rendition="#aq">Orinoco<lb/>
illu&#x017F;trado</hi> u. f.</note>.</p><lb/>
          <p>Aber wir na&#x0364;hern uns dem Thron der Natur und der<lb/>
a&#x0364;rg&#x017F;ten Tyrannei, dem Silber- und Gra&#x0364;uelreichen Pe-<lb/>
ru. Hier &#x017F;ind die armen Jndianer wohl aufs tief&#x017F;te unter-<lb/>
dru&#x0364;ckt und wer &#x017F;ie unterdru&#x0364;ckt, &#x017F;ind Pfaffen und unter den<lb/>
Weibern weibi&#x017F;ch gewordne Europa&#x0364;er. Alle Kra&#x0364;fte die&#x017F;er<lb/>
zarten, ein&#x017F;t &#x017F;o glu&#x0364;cklichen Kinder der Natur, als &#x017F;ie unter<lb/>
ihren Jnkas lebten, &#x017F;ind jetzt in das Einige Vermo&#x0364;gen zu-<lb/>
&#x017F;ammengedra&#x0364;ngt, mit verhaltnem Haß zu leiden und zu<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dulden.</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0075] neue Reiſende ziemlich gleichartig beſchrieben haben a). „Nie grauet ihr Haar, ſagt Lery, ſie ſind ſtets munter und lu- ſtig, wie ihre Gefilde immer gruͤnen.” Die tapfern Tapi- nambos zogen ſich, um dem Joch der Portugieſen zu ent- kommen, in die undurchſuchten und unabſehlichen Waͤlder wie mehrere ſtreitbare Nationen. Andre, die die Mißionen in Paraguai an ſich zu ziehen wuſten, muſten mit ihrem folgſamen Charakter faſt bis zu Kindern ausarten; auch die- ſes aber war Natur der Sache und weder ſie noch ihre mu- thige Nachbarn koͤnnen deswegen fuͤr keinen Abſchaum der Menſchheit gelten b). Aber wir naͤhern uns dem Thron der Natur und der aͤrgſten Tyrannei, dem Silber- und Graͤuelreichen Pe- ru. Hier ſind die armen Jndianer wohl aufs tiefſte unter- druͤckt und wer ſie unterdruͤckt, ſind Pfaffen und unter den Weibern weibiſch gewordne Europaͤer. Alle Kraͤfte dieſer zarten, einſt ſo gluͤcklichen Kinder der Natur, als ſie unter ihren Jnkas lebten, ſind jetzt in das Einige Vermoͤgen zu- ſammengedraͤngt, mit verhaltnem Haß zu leiden und zu dulden. a) Acunja, Gumilla, Lery, Marggraf, Condamine u. f. b) Dobritzhoffer Geſch. der Abiponer, Wien 1783. Beſchrei- bungen mehrerer Voͤlker ſehe man in des P. Gumilla Orinoco illuſtrado u. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/75
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. Bd. 2. Riga u. a., 1785, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_geschichte02_1785/75>, abgerufen am 03.05.2024.