Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

am heftigsten Achilles; auch Briseis weint
und die übrigen Weiber, letztere aber
Um Patroklus zum Schein, im Grund' um
eigenes Elend.

8. Noch mehr zeigt die Menschlichkeit
Homers sich in der Weisheit, mit der er
über das Schicksal des Krieges
dachte. Alles Kriegsunglück läßt er durch
Fehler entstehen, durch Fehler und Lei-
denschaften der Götter und Menschen. Das
alte Troja wird vom Jupiter dem Eigen-
sinn eines unversöhnlichen Weibes aufge-
opfert, die eine Reihe ihrer Lieblingsstädte
hingeben will, wenn Jupiter hier nur ih-
ren Willen erfüllet. Die keuscheste, stolzeste
Göttinn erröthet nicht, ihre Umarmung zum
Netz des Betruges zu machen, aus tiefem
Groll lieblos Liebe zu heucheln, mit ge-
borgtem Schmuck an offnem Tage aus der

Dritte Samml. I

am heftigſten Achilles; auch Briſeis weint
und die uͤbrigen Weiber, letztere aber
Um Patroklus zum Schein, im Grund' um
eigenes Elend.

8. Noch mehr zeigt die Menſchlichkeit
Homers ſich in der Weisheit, mit der er
uͤber das Schickſal des Krieges
dachte. Alles Kriegsungluͤck laͤßt er durch
Fehler entſtehen, durch Fehler und Lei-
denſchaften der Goͤtter und Menſchen. Das
alte Troja wird vom Jupiter dem Eigen-
ſinn eines unverſoͤhnlichen Weibes aufge-
opfert, die eine Reihe ihrer Lieblingsſtaͤdte
hingeben will, wenn Jupiter hier nur ih-
ren Willen erfuͤllet. Die keuſcheſte, ſtolzeſte
Goͤttinn erroͤthet nicht, ihre Umarmung zum
Netz des Betruges zu machen, aus tiefem
Groll lieblos Liebe zu heucheln, mit ge-
borgtem Schmuck an offnem Tage aus der

Dritte Samml. I
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0138" n="129"/>
am heftig&#x017F;ten Achilles; auch Bri&#x017F;eis weint<lb/>
und die u&#x0364;brigen Weiber, letztere aber<lb/>
Um Patroklus zum Schein, im Grund' um<lb/>
eigenes Elend.</p><lb/>
        <p>8. Noch mehr zeigt die Men&#x017F;chlichkeit<lb/>
Homers &#x017F;ich in der Weisheit, mit der er<lb/>
u&#x0364;ber das <hi rendition="#g">Schick&#x017F;al des Krieges</hi><lb/>
dachte. Alles Kriegsunglu&#x0364;ck la&#x0364;ßt er durch<lb/><hi rendition="#g">Fehler</hi> ent&#x017F;tehen, durch Fehler und Lei-<lb/>
den&#x017F;chaften der Go&#x0364;tter und Men&#x017F;chen. Das<lb/>
alte Troja wird vom Jupiter dem Eigen-<lb/>
&#x017F;inn eines unver&#x017F;o&#x0364;hnlichen Weibes aufge-<lb/>
opfert, die eine Reihe ihrer Lieblings&#x017F;ta&#x0364;dte<lb/>
hingeben will, wenn Jupiter hier nur ih-<lb/>
ren Willen erfu&#x0364;llet. Die keu&#x017F;che&#x017F;te, &#x017F;tolze&#x017F;te<lb/>
Go&#x0364;ttinn erro&#x0364;thet nicht, ihre Umarmung zum<lb/>
Netz des Betruges zu machen, aus tiefem<lb/>
Groll lieblos Liebe zu heucheln, mit ge-<lb/>
borgtem Schmuck an offnem Tage aus der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Dritte Samml. I</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0138] am heftigſten Achilles; auch Briſeis weint und die uͤbrigen Weiber, letztere aber Um Patroklus zum Schein, im Grund' um eigenes Elend. 8. Noch mehr zeigt die Menſchlichkeit Homers ſich in der Weisheit, mit der er uͤber das Schickſal des Krieges dachte. Alles Kriegsungluͤck laͤßt er durch Fehler entſtehen, durch Fehler und Lei- denſchaften der Goͤtter und Menſchen. Das alte Troja wird vom Jupiter dem Eigen- ſinn eines unverſoͤhnlichen Weibes aufge- opfert, die eine Reihe ihrer Lieblingsſtaͤdte hingeben will, wenn Jupiter hier nur ih- ren Willen erfuͤllet. Die keuſcheſte, ſtolzeſte Goͤttinn erroͤthet nicht, ihre Umarmung zum Netz des Betruges zu machen, aus tiefem Groll lieblos Liebe zu heucheln, mit ge- borgtem Schmuck an offnem Tage aus der Dritte Samml. I

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/138
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/138>, abgerufen am 28.04.2024.