Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

fach das Herz durchboret, so daß es kei-
nes Bluturtheiles weiter bedarf. Schreck-
lich! --

Als ich voll dieses Eindrucks nach
Hause kam, fiel Diderot mir in die
Hand, und zwar folgende Stelle:

"Der Schauplatz ist der einzige Ort,
wo sich die Thränen des Tugendhaften und
des Bösen vermischen. Hier läßt sich der
Böse wider Ungerechtigkeiten aufbringen,
die er selbst begangen hätte; hier hat er
bei Unglücksfällen Mitleiden, die er selbst
veranlaßt hätte; hier ergrimmt er gegen
Personen von seinem eigenen Charakter.
Aber der Eindruck ist geschehen, und er
bleibt, auch wider unsern Willen; der Böse
gehet also aus dem Schauplatze, weit we-
niger geneigt übels zu thun, als wenn ihm
ein ernster und strenger Redner eine Straf-
predigt gehalten hätte.


K 2

fach das Herz durchboret, ſo daß es kei-
nes Bluturtheiles weiter bedarf. Schreck-
lich! —

Als ich voll dieſes Eindrucks nach
Hauſe kam, fiel Diderot mir in die
Hand, und zwar folgende Stelle:

„Der Schauplatz iſt der einzige Ort,
wo ſich die Thraͤnen des Tugendhaften und
des Boͤſen vermiſchen. Hier laͤßt ſich der
Boͤſe wider Ungerechtigkeiten aufbringen,
die er ſelbſt begangen haͤtte; hier hat er
bei Ungluͤcksfaͤllen Mitleiden, die er ſelbſt
veranlaßt haͤtte; hier ergrimmt er gegen
Perſonen von ſeinem eigenen Charakter.
Aber der Eindruck iſt geſchehen, und er
bleibt, auch wider unſern Willen; der Boͤſe
gehet alſo aus dem Schauplatze, weit we-
niger geneigt uͤbels zu thun, als wenn ihm
ein ernſter und ſtrenger Redner eine Straf-
predigt gehalten haͤtte.


K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0156" n="147"/>
fach das Herz durchboret, &#x017F;o daß es kei-<lb/>
nes Bluturtheiles weiter bedarf. Schreck-<lb/>
lich! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Als ich voll die&#x017F;es Eindrucks nach<lb/>
Hau&#x017F;e kam, fiel <hi rendition="#g">Diderot</hi> mir in die<lb/>
Hand, und zwar folgende Stelle:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Der Schauplatz i&#x017F;t der einzige Ort,<lb/>
wo &#x017F;ich die Thra&#x0364;nen des Tugendhaften und<lb/>
des Bo&#x0364;&#x017F;en vermi&#x017F;chen. Hier la&#x0364;ßt &#x017F;ich der<lb/>
Bo&#x0364;&#x017F;e wider Ungerechtigkeiten aufbringen,<lb/>
die er &#x017F;elb&#x017F;t begangen ha&#x0364;tte; hier hat er<lb/>
bei Unglu&#x0364;cksfa&#x0364;llen Mitleiden, die er &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
veranlaßt ha&#x0364;tte; hier ergrimmt er gegen<lb/>
Per&#x017F;onen von &#x017F;einem eigenen Charakter.<lb/>
Aber der Eindruck i&#x017F;t ge&#x017F;chehen, und er<lb/>
bleibt, auch wider un&#x017F;ern Willen; der Bo&#x0364;&#x017F;e<lb/>
gehet al&#x017F;o aus dem Schauplatze, weit we-<lb/>
niger geneigt u&#x0364;bels zu thun, als wenn ihm<lb/>
ein ern&#x017F;ter und &#x017F;trenger Redner eine Straf-<lb/>
predigt gehalten ha&#x0364;tte.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0156] fach das Herz durchboret, ſo daß es kei- nes Bluturtheiles weiter bedarf. Schreck- lich! — Als ich voll dieſes Eindrucks nach Hauſe kam, fiel Diderot mir in die Hand, und zwar folgende Stelle: „Der Schauplatz iſt der einzige Ort, wo ſich die Thraͤnen des Tugendhaften und des Boͤſen vermiſchen. Hier laͤßt ſich der Boͤſe wider Ungerechtigkeiten aufbringen, die er ſelbſt begangen haͤtte; hier hat er bei Ungluͤcksfaͤllen Mitleiden, die er ſelbſt veranlaßt haͤtte; hier ergrimmt er gegen Perſonen von ſeinem eigenen Charakter. Aber der Eindruck iſt geſchehen, und er bleibt, auch wider unſern Willen; der Boͤſe gehet alſo aus dem Schauplatze, weit we- niger geneigt uͤbels zu thun, als wenn ihm ein ernſter und ſtrenger Redner eine Straf- predigt gehalten haͤtte. K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/156
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/156>, abgerufen am 27.04.2024.