Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

ster, auch wenn er ein wohlwollender Freund
war.

Es hieße, Worte verschwenden, wenn
man über das von Swift aufgestellte
Paradoxon in der Form disputiren wollte;
jedermann siehet, was in ihm wahr oder
übertrieben sei.

Eine andre oft aufgeworfene Frage:
ob es besser sei, von den Menschen zu gut
oder zu schlimm zu denken? d. i. den Men-
schen zu schmeicheln, oder sie mit Schärfe
zu behandeln? führt, wie mich dünkt, ihre
Auflösung auch mit sich. Man muß keins
von Beiden, und eben hierinn bestehet die
Philosophie und Kunst des Lebens. Alle
Uebertreibungen sind eben so unwahr, als
schädlich; meistens fallen sie auch zusam-
men und lösen einander auf. Young
z. B. der in seiner Schrift über die Ori-
ginalwerke den armen Swift heftig und

ſter, auch wenn er ein wohlwollender Freund
war.

Es hieße, Worte verſchwenden, wenn
man uͤber das von Swift aufgeſtellte
Paradoxon in der Form diſputiren wollte;
jedermann ſiehet, was in ihm wahr oder
uͤbertrieben ſei.

Eine andre oft aufgeworfene Frage:
ob es beſſer ſei, von den Menſchen zu gut
oder zu ſchlimm zu denken? d. i. den Men-
ſchen zu ſchmeicheln, oder ſie mit Schaͤrfe
zu behandeln? fuͤhrt, wie mich duͤnkt, ihre
Aufloͤſung auch mit ſich. Man muß keins
von Beiden, und eben hierinn beſtehet die
Philoſophie und Kunſt des Lebens. Alle
Uebertreibungen ſind eben ſo unwahr, als
ſchaͤdlich; meiſtens fallen ſie auch zuſam-
men und loͤſen einander auf. Young
z. B. der in ſeiner Schrift uͤber die Ori-
ginalwerke den armen Swift heftig und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0164" n="155"/>
&#x017F;ter, auch wenn er ein wohlwollender Freund<lb/>
war.</p><lb/>
        <p>Es hieße, Worte ver&#x017F;chwenden, wenn<lb/>
man u&#x0364;ber das von <hi rendition="#g">Swift</hi> aufge&#x017F;tellte<lb/>
Paradoxon in der Form di&#x017F;putiren wollte;<lb/>
jedermann &#x017F;iehet, was in ihm wahr oder<lb/>
u&#x0364;bertrieben &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Eine andre oft aufgeworfene Frage:<lb/>
ob es be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ei, von den Men&#x017F;chen zu gut<lb/>
oder zu &#x017F;chlimm zu denken? d. i. den Men-<lb/>
&#x017F;chen zu &#x017F;chmeicheln, oder &#x017F;ie mit Scha&#x0364;rfe<lb/>
zu behandeln? fu&#x0364;hrt, wie mich du&#x0364;nkt, ihre<lb/>
Auflo&#x0364;&#x017F;ung auch mit &#x017F;ich. Man muß keins<lb/>
von Beiden, und eben hierinn be&#x017F;tehet die<lb/>
Philo&#x017F;ophie und Kun&#x017F;t des Lebens. Alle<lb/>
Uebertreibungen &#x017F;ind eben &#x017F;o unwahr, als<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;dlich; mei&#x017F;tens fallen &#x017F;ie auch zu&#x017F;am-<lb/>
men und lo&#x0364;&#x017F;en einander auf. <hi rendition="#g">Young</hi><lb/>
z. B. der in &#x017F;einer Schrift u&#x0364;ber die Ori-<lb/>
ginalwerke den armen <hi rendition="#g">Swift</hi> heftig und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0164] ſter, auch wenn er ein wohlwollender Freund war. Es hieße, Worte verſchwenden, wenn man uͤber das von Swift aufgeſtellte Paradoxon in der Form diſputiren wollte; jedermann ſiehet, was in ihm wahr oder uͤbertrieben ſei. Eine andre oft aufgeworfene Frage: ob es beſſer ſei, von den Menſchen zu gut oder zu ſchlimm zu denken? d. i. den Men- ſchen zu ſchmeicheln, oder ſie mit Schaͤrfe zu behandeln? fuͤhrt, wie mich duͤnkt, ihre Aufloͤſung auch mit ſich. Man muß keins von Beiden, und eben hierinn beſtehet die Philoſophie und Kunſt des Lebens. Alle Uebertreibungen ſind eben ſo unwahr, als ſchaͤdlich; meiſtens fallen ſie auch zuſam- men und loͤſen einander auf. Young z. B. der in ſeiner Schrift uͤber die Ori- ginalwerke den armen Swift heftig und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/164
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/164>, abgerufen am 27.04.2024.