Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795.

Bild:
<< vorherige Seite

oder Geschlechte. Nicht zu grübeln hast
du über dein Vaterland: denn du warest
nicht sein Schöpfer; aber mithelfen mußt
du ihm, wo und wie du kannst, ermun-
tern, retten, bessern, und wenn du die
Gans des Kapitoliums wärest.

3. Sollte uns also nicht, eben im Sin-
ne der Alten, die Stimme jedes Bürgers,
gesetzt daß sie auch gedruckt erschiene, als
eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges
Scherbengericht gelten? Der Arme konnte
vielleicht nichts thun, als schreiben, sonst
hätte er wahrscheinlich etwas Besseres ge-
than; wollet ihr dem Seufzenden seinen
Athem, der ins wüste Leere hinausgeht,
rauben? Noch werther aber sind dem Ver-
ständigen die Winke und Blicke Derer,
die weiter sehen. Sie muntern auf, wenn
alles schläft: sie seufzen vielleicht, wenn
Alles tanzet. Aber sie seufzen nicht nur;

oder Geſchlechte. Nicht zu gruͤbeln haſt
du uͤber dein Vaterland: denn du wareſt
nicht ſein Schoͤpfer; aber mithelfen mußt
du ihm, wo und wie du kannſt, ermun-
tern, retten, beſſern, und wenn du die
Gans des Kapitoliums waͤreſt.

3. Sollte uns alſo nicht, eben im Sin-
ne der Alten, die Stimme jedes Buͤrgers,
geſetzt daß ſie auch gedruckt erſchiene, als
eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges
Scherbengericht gelten? Der Arme konnte
vielleicht nichts thun, als ſchreiben, ſonſt
haͤtte er wahrſcheinlich etwas Beſſeres ge-
than; wollet ihr dem Seufzenden ſeinen
Athem, der ins wuͤſte Leere hinausgeht,
rauben? Noch werther aber ſind dem Ver-
ſtaͤndigen die Winke und Blicke Derer,
die weiter ſehen. Sie muntern auf, wenn
alles ſchlaͤft: ſie ſeufzen vielleicht, wenn
Alles tanzet. Aber ſie ſeufzen nicht nur;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="140"/>
oder Ge&#x017F;chlechte. Nicht zu gru&#x0364;beln ha&#x017F;t<lb/>
du u&#x0364;ber dein Vaterland: denn du ware&#x017F;t<lb/>
nicht &#x017F;ein Scho&#x0364;pfer; aber mithelfen mußt<lb/>
du ihm, wo und wie du kann&#x017F;t, ermun-<lb/>
tern, retten, be&#x017F;&#x017F;ern, und wenn du die<lb/>
Gans des Kapitoliums wa&#x0364;re&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>3. Sollte uns al&#x017F;o nicht, eben im Sin-<lb/>
ne der Alten, die Stimme jedes Bu&#x0364;rgers,<lb/>
ge&#x017F;etzt daß &#x017F;ie auch gedruckt er&#x017F;chiene, als<lb/>
eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges<lb/>
Scherbengericht gelten? Der Arme konnte<lb/>
vielleicht nichts thun, als &#x017F;chreiben, &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
ha&#x0364;tte er wahr&#x017F;cheinlich etwas Be&#x017F;&#x017F;eres ge-<lb/>
than; wollet ihr dem Seufzenden &#x017F;einen<lb/>
Athem, der ins wu&#x0364;&#x017F;te Leere hinausgeht,<lb/>
rauben? Noch werther aber &#x017F;ind dem Ver-<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndigen die Winke und Blicke Derer,<lb/>
die weiter &#x017F;ehen. Sie muntern auf, wenn<lb/>
alles &#x017F;chla&#x0364;ft: &#x017F;ie &#x017F;eufzen vielleicht, wenn<lb/>
Alles tanzet. Aber &#x017F;ie &#x017F;eufzen nicht nur;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0155] oder Geſchlechte. Nicht zu gruͤbeln haſt du uͤber dein Vaterland: denn du wareſt nicht ſein Schoͤpfer; aber mithelfen mußt du ihm, wo und wie du kannſt, ermun- tern, retten, beſſern, und wenn du die Gans des Kapitoliums waͤreſt. 3. Sollte uns alſo nicht, eben im Sin- ne der Alten, die Stimme jedes Buͤrgers, geſetzt daß ſie auch gedruckt erſchiene, als eine Vaterlandsfreiheit, als ein heiliges Scherbengericht gelten? Der Arme konnte vielleicht nichts thun, als ſchreiben, ſonſt haͤtte er wahrſcheinlich etwas Beſſeres ge- than; wollet ihr dem Seufzenden ſeinen Athem, der ins wuͤſte Leere hinausgeht, rauben? Noch werther aber ſind dem Ver- ſtaͤndigen die Winke und Blicke Derer, die weiter ſehen. Sie muntern auf, wenn alles ſchlaͤft: ſie ſeufzen vielleicht, wenn Alles tanzet. Aber ſie ſeufzen nicht nur;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/155
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 5. Riga, 1795, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet05_1795/155>, abgerufen am 29.04.2024.