Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

war Clemenzia Isaura, Gräfin von
Toulouse.

Man hat über den Ursprung des Reims
viel gestritten, und ihn bei Nordländern
und Arabern, bei Mönchen, Griechen und
Römern gesucht; mich dünkt mit unnöthi-
ger Mühe. Man könnte über ihn das be-
kannte Kinderspiel mit dem Motto: "alles
was reimen kann, reimt" spielen. Mönche
reimen, Otfried reimte, die Araber reimen,
Mahomed im Koran, der Engel Gabriel
reimt; der alte Lamech vor der Sündfluth
reimte. Aber Griechen und Römer in ih-
ren schönsten Zeiten vermieden die Reime
und suchten einen fortgehenden, höheren
Wohlklang. Die Trobadoren, die in jedem
Innern die Poesie der Araber nicht nach-
ahmen konnten, sondern sich eine Poesie,
wie sie ihnen ihr Zeitgeist, ihre Spra-
che und das nähere Vorbild der latei-

war Clemenzia Iſaura, Graͤfin von
Toulouſe.

Man hat uͤber den Urſprung des Reims
viel geſtritten, und ihn bei Nordlaͤndern
und Arabern, bei Moͤnchen, Griechen und
Roͤmern geſucht; mich duͤnkt mit unnoͤthi-
ger Muͤhe. Man koͤnnte uͤber ihn das be-
kannte Kinderſpiel mit dem Motto: „alles
was reimen kann, reimt“ ſpielen. Moͤnche
reimen, Otfried reimte, die Araber reimen,
Mahomed im Koran, der Engel Gabriel
reimt; der alte Lamech vor der Suͤndfluth
reimte. Aber Griechen und Roͤmer in ih-
ren ſchoͤnſten Zeiten vermieden die Reime
und ſuchten einen fortgehenden, hoͤheren
Wohlklang. Die Trobadoren, die in jedem
Innern die Poeſie der Araber nicht nach-
ahmen konnten, ſondern ſich eine Poeſie,
wie ſie ihnen ihr Zeitgeiſt, ihre Spra-
che und das naͤhere Vorbild der latei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0096" n="79"/>
war <hi rendition="#g">Clemenzia I&#x017F;aura</hi>, Gra&#x0364;fin von<lb/><hi rendition="#g">Toulou&#x017F;e</hi>.</p><lb/>
        <p>Man hat u&#x0364;ber den Ur&#x017F;prung des Reims<lb/>
viel ge&#x017F;tritten, und ihn bei Nordla&#x0364;ndern<lb/>
und Arabern, bei Mo&#x0364;nchen, Griechen und<lb/>
Ro&#x0364;mern ge&#x017F;ucht; mich du&#x0364;nkt mit unno&#x0364;thi-<lb/>
ger Mu&#x0364;he. Man ko&#x0364;nnte u&#x0364;ber ihn das be-<lb/>
kannte Kinder&#x017F;piel mit dem Motto: &#x201E;alles<lb/>
was reimen kann, reimt&#x201C; &#x017F;pielen. Mo&#x0364;nche<lb/>
reimen, Otfried reimte, die Araber reimen,<lb/>
Mahomed im Koran, der Engel Gabriel<lb/>
reimt; der alte Lamech vor der Su&#x0364;ndfluth<lb/>
reimte. Aber Griechen und Ro&#x0364;mer in ih-<lb/>
ren &#x017F;cho&#x0364;n&#x017F;ten Zeiten vermieden die Reime<lb/>
und &#x017F;uchten einen fortgehenden, ho&#x0364;heren<lb/>
Wohlklang. Die Trobadoren, die in jedem<lb/>
Innern die Poe&#x017F;ie der Araber nicht nach-<lb/>
ahmen <hi rendition="#g">konnten</hi>, &#x017F;ondern &#x017F;ich eine Poe&#x017F;ie,<lb/>
wie &#x017F;ie ihnen ihr <hi rendition="#g">Zeitgei&#x017F;t</hi>, ihre <hi rendition="#g">Spra</hi>-<lb/><hi rendition="#g">che</hi> und das na&#x0364;here Vorbild der <hi rendition="#g">latei</hi>-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0096] war Clemenzia Iſaura, Graͤfin von Toulouſe. Man hat uͤber den Urſprung des Reims viel geſtritten, und ihn bei Nordlaͤndern und Arabern, bei Moͤnchen, Griechen und Roͤmern geſucht; mich duͤnkt mit unnoͤthi- ger Muͤhe. Man koͤnnte uͤber ihn das be- kannte Kinderſpiel mit dem Motto: „alles was reimen kann, reimt“ ſpielen. Moͤnche reimen, Otfried reimte, die Araber reimen, Mahomed im Koran, der Engel Gabriel reimt; der alte Lamech vor der Suͤndfluth reimte. Aber Griechen und Roͤmer in ih- ren ſchoͤnſten Zeiten vermieden die Reime und ſuchten einen fortgehenden, hoͤheren Wohlklang. Die Trobadoren, die in jedem Innern die Poeſie der Araber nicht nach- ahmen konnten, ſondern ſich eine Poeſie, wie ſie ihnen ihr Zeitgeiſt, ihre Spra- che und das naͤhere Vorbild der latei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/96
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 7. Riga, 1796, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet07_1796/96>, abgerufen am 03.05.2024.