Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

in jedem Uebergange geschickt seyn; die
deutsche Sprache hat diese Fähigkeit vor
allen Töchtern der lateinischen, selbst vor
der Englischen Sprache. Alle diese sind
von Zwitternatur; aus ihren engeren oder
weiteren Schranken können sie nicht hin-
aus, um sich einer fremden Sprache nur
einigermaassen zu bequemen. Vor allen
ist die Französische Sprache die gebunden-
ste, die gleichsam gar nicht übersetzen, gar
nicht nachbilden kann; eine ewig Unge-
treue, muß sie alles nur auf ihre, d. i.
auf eine sehr mangelhafte Weise sagen.
Die Deutsche Sprache, unvermischt mit
andern, auf ihrer eignen Wurzel blühend
und eine Stiefschwester der vollkommen-
sten, der griechischen Sprache, hat eine
unglaubliche Gelenkigkeit, sich dem Aus-
drucke, den Wendungen, dem Geist, selbst
den Sylbenmaaßen fremder Nationen, so-

H 2

in jedem Uebergange geſchickt ſeyn; die
deutſche Sprache hat dieſe Faͤhigkeit vor
allen Toͤchtern der lateiniſchen, ſelbſt vor
der Engliſchen Sprache. Alle dieſe ſind
von Zwitternatur; aus ihren engeren oder
weiteren Schranken koͤnnen ſie nicht hin-
aus, um ſich einer fremden Sprache nur
einigermaaſſen zu bequemen. Vor allen
iſt die Franzoͤſiſche Sprache die gebunden-
ſte, die gleichſam gar nicht uͤberſetzen, gar
nicht nachbilden kann; eine ewig Unge-
treue, muß ſie alles nur auf ihre, d. i.
auf eine ſehr mangelhafte Weiſe ſagen.
Die Deutſche Sprache, unvermiſcht mit
andern, auf ihrer eignen Wurzel bluͤhend
und eine Stiefſchweſter der vollkommen-
ſten, der griechiſchen Sprache, hat eine
unglaubliche Gelenkigkeit, ſich dem Aus-
drucke, den Wendungen, dem Geiſt, ſelbſt
den Sylbenmaaßen fremder Nationen, ſo-

H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0134" n="115"/>
in jedem Uebergange ge&#x017F;chickt &#x017F;eyn; die<lb/>
deut&#x017F;che Sprache hat die&#x017F;e Fa&#x0364;higkeit vor<lb/>
allen To&#x0364;chtern der lateini&#x017F;chen, &#x017F;elb&#x017F;t vor<lb/>
der Engli&#x017F;chen Sprache. Alle die&#x017F;e &#x017F;ind<lb/>
von Zwitternatur; aus ihren engeren oder<lb/>
weiteren Schranken ko&#x0364;nnen &#x017F;ie nicht hin-<lb/>
aus, um &#x017F;ich einer fremden Sprache nur<lb/>
einigermaa&#x017F;&#x017F;en zu bequemen. Vor allen<lb/>
i&#x017F;t die Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Sprache die gebunden-<lb/>
&#x017F;te, die gleich&#x017F;am gar nicht u&#x0364;ber&#x017F;etzen, gar<lb/>
nicht nachbilden kann; eine <hi rendition="#g">ewig Unge</hi>-<lb/><hi rendition="#g">treue</hi>, muß &#x017F;ie alles nur auf <hi rendition="#g">ihre</hi>, d. i.<lb/>
auf eine &#x017F;ehr mangelhafte Wei&#x017F;e &#x017F;agen.<lb/>
Die Deut&#x017F;che Sprache, unvermi&#x017F;cht mit<lb/>
andern, auf ihrer eignen Wurzel blu&#x0364;hend<lb/>
und eine Stief&#x017F;chwe&#x017F;ter der vollkommen-<lb/>
&#x017F;ten, der griechi&#x017F;chen Sprache, hat eine<lb/>
unglaubliche Gelenkigkeit, &#x017F;ich dem Aus-<lb/>
drucke, den Wendungen, dem Gei&#x017F;t, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Sylbenmaaßen fremder Nationen, &#x017F;o-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0134] in jedem Uebergange geſchickt ſeyn; die deutſche Sprache hat dieſe Faͤhigkeit vor allen Toͤchtern der lateiniſchen, ſelbſt vor der Engliſchen Sprache. Alle dieſe ſind von Zwitternatur; aus ihren engeren oder weiteren Schranken koͤnnen ſie nicht hin- aus, um ſich einer fremden Sprache nur einigermaaſſen zu bequemen. Vor allen iſt die Franzoͤſiſche Sprache die gebunden- ſte, die gleichſam gar nicht uͤberſetzen, gar nicht nachbilden kann; eine ewig Unge- treue, muß ſie alles nur auf ihre, d. i. auf eine ſehr mangelhafte Weiſe ſagen. Die Deutſche Sprache, unvermiſcht mit andern, auf ihrer eignen Wurzel bluͤhend und eine Stiefſchweſter der vollkommen- ſten, der griechiſchen Sprache, hat eine unglaubliche Gelenkigkeit, ſich dem Aus- drucke, den Wendungen, dem Geiſt, ſelbſt den Sylbenmaaßen fremder Nationen, ſo- H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/134
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 8. Riga, 1796, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet08_1796/134>, abgerufen am 28.04.2024.