gar die Kraft der Poesie liege; nicht aber in der Folge der Töne und Worte, in den Lauten, so fern sie natürliche Laute sind. --
Hr. L. indessen schließt aus dieser Folge von Tönen und Worten alles; nur sehr spät fällt es ihm ein a), daß die Zeichen der Poesie willkührlich wären: allein auch denn ponderirt er nicht, was der Ein- wurf: Poesie wirkt durch willkührliche Zeichen, sa- gen wolle.
Denn wie löset er diesen Einwurf? "Dadurch, "daß mit der Schilderung körperlicher Gegenstän- "de die Täuschung, das Hauptwerk der Poesie, ver- "lohren gehe, daß also zwar Rede an sich, aber nicht "die sinnlich vollkommenste Rede, die Poesie, Kör- "per schildern könne." Die Sache scheint jetzt an besserm Orte. Eben weil die Poesie nicht malerisch gnug seyn kann, bei Schilderung körperlicher Ge- genstände: so muß sie sie nicht schildern. Nicht, damit sie nicht Malerei sey, nicht weil sie in succes- siven Tönen schildert: nicht weil der Raum das Ge- biet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des Dichters sey -- ich sehe bei allem keine Ursache. Das Successive in den Tönen ist, wie gesagt, dem Poeten wenig: er wirkt nicht durch sie, als natür- liche Zeichen. Aber wenn ihn seine Kraft verläßt, wenn er mit seinen Vorstellungen unabhängig von
seinen
a)p. 165.
Erſtes Waͤldchen.
gar die Kraft der Poeſie liege; nicht aber in der Folge der Toͤne und Worte, in den Lauten, ſo fern ſie natuͤrliche Laute ſind. —
Hr. L. indeſſen ſchließt aus dieſer Folge von Toͤnen und Worten alles; nur ſehr ſpaͤt faͤllt es ihm ein a), daß die Zeichen der Poeſie willkuͤhrlich waͤren: allein auch denn ponderirt er nicht, was der Ein- wurf: Poeſie wirkt durch willkuͤhrliche Zeichen, ſa- gen wolle.
Denn wie loͤſet er dieſen Einwurf? „Dadurch, „daß mit der Schilderung koͤrperlicher Gegenſtaͤn- „de die Taͤuſchung, das Hauptwerk der Poeſie, ver- „lohren gehe, daß alſo zwar Rede an ſich, aber nicht „die ſinnlich vollkommenſte Rede, die Poeſie, Koͤr- „per ſchildern koͤnne.„ Die Sache ſcheint jetzt an beſſerm Orte. Eben weil die Poeſie nicht maleriſch gnug ſeyn kann, bei Schilderung koͤrperlicher Ge- genſtaͤnde: ſo muß ſie ſie nicht ſchildern. Nicht, damit ſie nicht Malerei ſey, nicht weil ſie in ſucceſ- ſiven Toͤnen ſchildert: nicht weil der Raum das Ge- biet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des Dichters ſey — ich ſehe bei allem keine Urſache. Das Succeſſive in den Toͤnen iſt, wie geſagt, dem Poeten wenig: er wirkt nicht durch ſie, als natuͤr- liche Zeichen. Aber wenn ihn ſeine Kraft verlaͤßt, wenn er mit ſeinen Vorſtellungen unabhaͤngig von
ſeinen
a)p. 165.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0211"n="205"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Erſtes Waͤldchen.</hi></fw><lb/>
gar die Kraft der Poeſie liege; nicht aber <hirendition="#fr">in der<lb/>
Folge der Toͤne und Worte,</hi> in den Lauten, ſo<lb/>
fern ſie natuͤrliche Laute ſind. —</p><lb/><p>Hr. L. indeſſen ſchließt aus dieſer Folge von<lb/>
Toͤnen und Worten alles; nur ſehr ſpaͤt faͤllt es ihm<lb/>
ein <noteplace="foot"n="a)"><hirendition="#aq">p.</hi> 165.</note>, daß die Zeichen der Poeſie <hirendition="#fr">willkuͤhrlich</hi> waͤren:<lb/>
allein auch denn ponderirt er nicht, was der Ein-<lb/>
wurf: Poeſie wirkt durch willkuͤhrliche Zeichen, ſa-<lb/>
gen wolle.</p><lb/><p>Denn wie loͤſet er dieſen Einwurf? „Dadurch,<lb/>„daß mit der Schilderung koͤrperlicher Gegenſtaͤn-<lb/>„de die Taͤuſchung, das Hauptwerk der Poeſie, ver-<lb/>„lohren gehe, daß alſo zwar Rede an ſich, aber nicht<lb/>„die ſinnlich vollkommenſte Rede, die Poeſie, Koͤr-<lb/>„per ſchildern koͤnne.„ Die Sache ſcheint jetzt an<lb/>
beſſerm Orte. Eben weil die Poeſie <hirendition="#fr">nicht maleriſch<lb/>
gnug</hi>ſeyn kann, bei Schilderung koͤrperlicher Ge-<lb/>
genſtaͤnde: ſo muß ſie ſie nicht ſchildern. Nicht,<lb/>
damit ſie <hirendition="#fr">nicht Malerei</hi>ſey, nicht weil ſie in ſucceſ-<lb/>ſiven Toͤnen ſchildert: nicht weil der Raum das Ge-<lb/>
biet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des<lb/>
Dichters ſey — ich ſehe bei allem keine Urſache.<lb/>
Das Succeſſive in den Toͤnen iſt, wie geſagt, dem<lb/>
Poeten wenig: er wirkt nicht durch ſie, als natuͤr-<lb/>
liche Zeichen. Aber wenn ihn ſeine <hirendition="#fr">Kraft</hi> verlaͤßt,<lb/>
wenn er mit ſeinen Vorſtellungen unabhaͤngig von<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſeinen</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205/0211]
Erſtes Waͤldchen.
gar die Kraft der Poeſie liege; nicht aber in der
Folge der Toͤne und Worte, in den Lauten, ſo
fern ſie natuͤrliche Laute ſind. —
Hr. L. indeſſen ſchließt aus dieſer Folge von
Toͤnen und Worten alles; nur ſehr ſpaͤt faͤllt es ihm
ein a), daß die Zeichen der Poeſie willkuͤhrlich waͤren:
allein auch denn ponderirt er nicht, was der Ein-
wurf: Poeſie wirkt durch willkuͤhrliche Zeichen, ſa-
gen wolle.
Denn wie loͤſet er dieſen Einwurf? „Dadurch,
„daß mit der Schilderung koͤrperlicher Gegenſtaͤn-
„de die Taͤuſchung, das Hauptwerk der Poeſie, ver-
„lohren gehe, daß alſo zwar Rede an ſich, aber nicht
„die ſinnlich vollkommenſte Rede, die Poeſie, Koͤr-
„per ſchildern koͤnne.„ Die Sache ſcheint jetzt an
beſſerm Orte. Eben weil die Poeſie nicht maleriſch
gnug ſeyn kann, bei Schilderung koͤrperlicher Ge-
genſtaͤnde: ſo muß ſie ſie nicht ſchildern. Nicht,
damit ſie nicht Malerei ſey, nicht weil ſie in ſucceſ-
ſiven Toͤnen ſchildert: nicht weil der Raum das Ge-
biet des Malers, und blos Zeitfolge das Gebiet des
Dichters ſey — ich ſehe bei allem keine Urſache.
Das Succeſſive in den Toͤnen iſt, wie geſagt, dem
Poeten wenig: er wirkt nicht durch ſie, als natuͤr-
liche Zeichen. Aber wenn ihn ſeine Kraft verlaͤßt,
wenn er mit ſeinen Vorſtellungen unabhaͤngig von
ſeinen
a) p. 165.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/211>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.