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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Kritische Wälder.
Der Dichter trifft den Geist des Lächerlichen durch
das Häßliche; der Künstler bleibt am Körper des
Häßlichen kleben -- und die Hauptsache ist unsicht-
bar. Jener stimmt meine Seele, und mein Mund
lachet willig; dieser kitzelt mich häßlich, und ich
soll lachen!

Das Häßliche zum Schrecklichen? Nichts! in
Poesie und Malerei nichts. Will aber der Dich-
ter Abscheu erregen: eine abscheuliche, bösartige,
grimmige Seele an sich schon, wird sich durch häßli-
che Verzerrungen äußern. Soll der Abscheu ver-
stärkt werden; so gebe er ihr ganz einen häßlichen
Körper: denn wie anders kann wohl das Wohnhaus
seyn, das sie sich gebauet, in dem sie so lange gewirket?
Soll der Abscheu sich in Mitleid brechen; will der Dich-
ter in Entfernung eine Seele zeigen, die besser seyn
könnte: so mildre er ihren Abscheu wenigstens durch
Stralen ihrer guten Anlage, durch einen nicht häß-
lichen Körper. Der Maler hat hier Schranken sei-
ner Kunst: denn wie selten will diese wohl Abscheu,
höchsten Abscheu erregen? und wenn sich mit dem
Häßlichen kein Schrecken, sondern nichts, als Ab-
scheu, erreichen läßt: wie frei geht der Künst-
ler aus?

Das Ekelhafte endlich -- hier bin ich mit
Hrn. L. gar nicht einig. Das Wiesel, das Sokra-

tes

Kritiſche Waͤlder.
Der Dichter trifft den Geiſt des Laͤcherlichen durch
das Haͤßliche; der Kuͤnſtler bleibt am Koͤrper des
Haͤßlichen kleben — und die Hauptſache iſt unſicht-
bar. Jener ſtimmt meine Seele, und mein Mund
lachet willig; dieſer kitzelt mich haͤßlich, und ich
ſoll lachen!

Das Haͤßliche zum Schrecklichen? Nichts! in
Poeſie und Malerei nichts. Will aber der Dich-
ter Abſcheu erregen: eine abſcheuliche, boͤsartige,
grimmige Seele an ſich ſchon, wird ſich durch haͤßli-
che Verzerrungen aͤußern. Soll der Abſcheu ver-
ſtaͤrkt werden; ſo gebe er ihr ganz einen haͤßlichen
Koͤrper: denn wie anders kann wohl das Wohnhaus
ſeyn, das ſie ſich gebauet, in dem ſie ſo lange gewirket?
Soll der Abſcheu ſich in Mitleid brechen; will der Dich-
ter in Entfernung eine Seele zeigen, die beſſer ſeyn
koͤnnte: ſo mildre er ihren Abſcheu wenigſtens durch
Stralen ihrer guten Anlage, durch einen nicht haͤß-
lichen Koͤrper. Der Maler hat hier Schranken ſei-
ner Kunſt: denn wie ſelten will dieſe wohl Abſcheu,
hoͤchſten Abſcheu erregen? und wenn ſich mit dem
Haͤßlichen kein Schrecken, ſondern nichts, als Ab-
ſcheu, erreichen laͤßt: wie frei geht der Kuͤnſt-
ler aus?

Das Ekelhafte endlich — hier bin ich mit
Hrn. L. gar nicht einig. Das Wieſel, das Sokra-

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[272/0278] Kritiſche Waͤlder. Der Dichter trifft den Geiſt des Laͤcherlichen durch das Haͤßliche; der Kuͤnſtler bleibt am Koͤrper des Haͤßlichen kleben — und die Hauptſache iſt unſicht- bar. Jener ſtimmt meine Seele, und mein Mund lachet willig; dieſer kitzelt mich haͤßlich, und ich ſoll lachen! Das Haͤßliche zum Schrecklichen? Nichts! in Poeſie und Malerei nichts. Will aber der Dich- ter Abſcheu erregen: eine abſcheuliche, boͤsartige, grimmige Seele an ſich ſchon, wird ſich durch haͤßli- che Verzerrungen aͤußern. Soll der Abſcheu ver- ſtaͤrkt werden; ſo gebe er ihr ganz einen haͤßlichen Koͤrper: denn wie anders kann wohl das Wohnhaus ſeyn, das ſie ſich gebauet, in dem ſie ſo lange gewirket? Soll der Abſcheu ſich in Mitleid brechen; will der Dich- ter in Entfernung eine Seele zeigen, die beſſer ſeyn koͤnnte: ſo mildre er ihren Abſcheu wenigſtens durch Stralen ihrer guten Anlage, durch einen nicht haͤß- lichen Koͤrper. Der Maler hat hier Schranken ſei- ner Kunſt: denn wie ſelten will dieſe wohl Abſcheu, hoͤchſten Abſcheu erregen? und wenn ſich mit dem Haͤßlichen kein Schrecken, ſondern nichts, als Ab- ſcheu, erreichen laͤßt: wie frei geht der Kuͤnſt- ler aus? Das Ekelhafte endlich — hier bin ich mit Hrn. L. gar nicht einig. Das Wieſel, das Sokra- tes

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/278>, abgerufen am 04.05.2024.