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[Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769.

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Kritische Wälder.
betrifft, die Alten selbst zu Zeugen, zu Gewährsleuten
haben dörften. Da ich also das Glück hatte, von Win-
kelmann einen ermunternden Blick des Beisalls zu er-
halten: so war ich beschäfftigt, mit mir selbst noch-
mals über seine Werke zu sprechen, und alsdenn in
dem würdigen Tone vor ihn zu treten, in dem sich
sein Geist offenbaret. Wie erhebend wäre der Ge-
danke gewesen, von ihm, dem Griechen unsrer Zeit,
gebilligt zu werden, zur Vollkommenheit seiner un-
sterblichen Werke etwas beizutragen! --

Und ach! Winkelmann ist nicht mehr! durch
die Hand eines Mörders, auf die entsetzlichste Weise
der Welt, Rom, und seinem Deutschlande entris-
sen! O, wenn du Göttlicher, noch wie ein seliger
Dämon, umherwandelst: so sieh die Bestürzung,
mit der mich die Nachricht von deinem Verluste
traf, die ungläubige Unruhe, die dich noch immer le-
bend sah, und endlich die Thränen der Wehmuth,
die ich deinem Tode schenkte! Wie mancher Litte-
rator und Alterthumstenner hätte statt seiner nicht
blos sterben können, sondern auch vielleicht sterben
sollen, damit die Welt nicht einst nichts, als ver-
führende Spuren, von ihm aufzuzeigen habe!



Be-

Kritiſche Waͤlder.
betrifft, die Alten ſelbſt zu Zeugen, zu Gewaͤhrsleuten
haben doͤrften. Da ich alſo das Gluͤck hatte, von Win-
kelmann einen ermunternden Blick des Beiſalls zu er-
halten: ſo war ich beſchaͤfftigt, mit mir ſelbſt noch-
mals uͤber ſeine Werke zu ſprechen, und alsdenn in
dem wuͤrdigen Tone vor ihn zu treten, in dem ſich
ſein Geiſt offenbaret. Wie erhebend waͤre der Ge-
danke geweſen, von ihm, dem Griechen unſrer Zeit,
gebilligt zu werden, zur Vollkommenheit ſeiner un-
ſterblichen Werke etwas beizutragen! —

Und ach! Winkelmann iſt nicht mehr! durch
die Hand eines Moͤrders, auf die entſetzlichſte Weiſe
der Welt, Rom, und ſeinem Deutſchlande entriſ-
ſen! O, wenn du Goͤttlicher, noch wie ein ſeliger
Daͤmon, umherwandelſt: ſo ſieh die Beſtuͤrzung,
mit der mich die Nachricht von deinem Verluſte
traf, die unglaͤubige Unruhe, die dich noch immer le-
bend ſah, und endlich die Thraͤnen der Wehmuth,
die ich deinem Tode ſchenkte! Wie mancher Litte-
rator und Alterthumstenner haͤtte ſtatt ſeiner nicht
blos ſterben koͤnnen, ſondern auch vielleicht ſterben
ſollen, damit die Welt nicht einſt nichts, als ver-
fuͤhrende Spuren, von ihm aufzuzeigen habe!



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[276/0282] Kritiſche Waͤlder. betrifft, die Alten ſelbſt zu Zeugen, zu Gewaͤhrsleuten haben doͤrften. Da ich alſo das Gluͤck hatte, von Win- kelmann einen ermunternden Blick des Beiſalls zu er- halten: ſo war ich beſchaͤfftigt, mit mir ſelbſt noch- mals uͤber ſeine Werke zu ſprechen, und alsdenn in dem wuͤrdigen Tone vor ihn zu treten, in dem ſich ſein Geiſt offenbaret. Wie erhebend waͤre der Ge- danke geweſen, von ihm, dem Griechen unſrer Zeit, gebilligt zu werden, zur Vollkommenheit ſeiner un- ſterblichen Werke etwas beizutragen! — Und ach! Winkelmann iſt nicht mehr! durch die Hand eines Moͤrders, auf die entſetzlichſte Weiſe der Welt, Rom, und ſeinem Deutſchlande entriſ- ſen! O, wenn du Goͤttlicher, noch wie ein ſeliger Daͤmon, umherwandelſt: ſo ſieh die Beſtuͤrzung, mit der mich die Nachricht von deinem Verluſte traf, die unglaͤubige Unruhe, die dich noch immer le- bend ſah, und endlich die Thraͤnen der Wehmuth, die ich deinem Tode ſchenkte! Wie mancher Litte- rator und Alterthumstenner haͤtte ſtatt ſeiner nicht blos ſterben koͤnnen, ſondern auch vielleicht ſterben ſollen, damit die Welt nicht einſt nichts, als ver- fuͤhrende Spuren, von ihm aufzuzeigen habe! Be-

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Kritische Wälder. Bd. 1. [Riga], 1769, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische01_1769/282>, abgerufen am 29.04.2024.