Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 2. Riga, 1769.Kritische Wälder. Utraque sententia nihil aliud innuit, quam inge-nium Poetae lyrici concipiendis visionibus aptum, impetum, virtutem, eumque furorem, quo af- flatus sibi in nemora & specus agi, in societatem Deorum admitti, in coelo versari, numina videre, Bacchum carmina &c. &c. Man lasse mich nicht weiter schreiben, was alles der lyrische Enthusias- mus sey? wie ihn Boileau beschreibe? wie er zum lyrischen Dichter nöthig sey? Vortreffliche Sachen: nur von deren Lehre Horaz sich hier nicht träumen läßt. Vielleicht, daß man sich in der muntern Gesellschaft Mäcenas über den poetischen Paroxysmus, über sein Gefühl für eine Dichter- stunde, über seine Liebe zur Einsamkeit, und poeti- schen Stille, über seine Begierde nach Dichterlobe, kurz! über sein poetisches Temperament lustig ge- macht; und da rächet sich Horaz. Er bringt sei- nem lieben Mäcenas ein Gedichtchen, das ganz un- schuldig und ehrbar anfängt: freilich sind Leute, die anders denken: der so, und jener so; der liebt diese: und der jene Thorheit; etwas Schwäche muß man ja jedem Liebhaber seiner Sache verzeihen: war- um mir nicht das Bißchen Thorheit bei der meini- gen? -- So launigt aber, mit so halblächeln- dem Ernste, so unwichtig wichtig in der Charakte- ristik jeder einzelnen Neigung, und feines eignen Temperaments, daß eben diese Mine, ja der Ton des ganzen Stücks wird. Wie würde sich nun der
Kritiſche Waͤlder. Utraque ſententia nihil aliud innuit, quam inge-nium Poetæ lyrici concipiendis viſionibus aptum, impetum, virtutem, eumque furorem, quo af- flatus ſibi in nemora & ſpecus agi, in ſocietatem Deorum admitti, in cœlo verſari, numina videre, Bacchum carmina &c. &c. Man laſſe mich nicht weiter ſchreiben, was alles der lyriſche Enthuſias- mus ſey? wie ihn Boileau beſchreibe? wie er zum lyriſchen Dichter noͤthig ſey? Vortreffliche Sachen: nur von deren Lehre Horaz ſich hier nicht traͤumen laͤßt. Vielleicht, daß man ſich in der muntern Geſellſchaft Maͤcenas uͤber den poetiſchen Paroxysmus, uͤber ſein Gefuͤhl fuͤr eine Dichter- ſtunde, uͤber ſeine Liebe zur Einſamkeit, und poeti- ſchen Stille, uͤber ſeine Begierde nach Dichterlobe, kurz! uͤber ſein poetiſches Temperament luſtig ge- macht; und da raͤchet ſich Horaz. Er bringt ſei- nem lieben Maͤcenas ein Gedichtchen, das ganz un- ſchuldig und ehrbar anfaͤngt: freilich ſind Leute, die anders denken: der ſo, und jener ſo; der liebt dieſe: und der jene Thorheit; etwas Schwaͤche muß man ja jedem Liebhaber ſeiner Sache verzeihen: war- um mir nicht das Bißchen Thorheit bei der meini- gen? — So launigt aber, mit ſo halblaͤcheln- dem Ernſte, ſo unwichtig wichtig in der Charakte- riſtik jeder einzelnen Neigung, und feines eignen Temperaments, daß eben dieſe Mine, ja der Ton des ganzen Stuͤcks wird. Wie wuͤrde ſich nun der
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0220" n="214"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kritiſche Waͤlder.</hi></fw><lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Utraque ſententia nihil aliud innuit</hi>, quam inge-<lb/> nium Poetæ lyrici concipiendis viſionibus aptum,<lb/> impetum, virtutem, eumque furorem, quo af-<lb/> flatus ſibi in nemora & ſpecus agi, in ſocietatem<lb/> Deorum admitti, in cœlo verſari, numina videre,<lb/> Bacchum carmina &c. &c.</hi> Man laſſe mich nicht<lb/> weiter ſchreiben, was alles der lyriſche Enthuſias-<lb/> mus ſey? wie ihn <hi rendition="#fr">Boileau</hi> beſchreibe? wie er<lb/> zum lyriſchen Dichter noͤthig ſey? Vortreffliche<lb/> Sachen: nur von deren Lehre Horaz ſich hier nicht<lb/> traͤumen laͤßt. Vielleicht, daß man ſich in der<lb/> muntern Geſellſchaft Maͤcenas uͤber den poetiſchen<lb/> Paroxysmus, uͤber ſein Gefuͤhl fuͤr eine Dichter-<lb/> ſtunde, uͤber ſeine Liebe zur Einſamkeit, und poeti-<lb/> ſchen Stille, uͤber ſeine Begierde nach Dichterlobe,<lb/> kurz! uͤber ſein poetiſches Temperament luſtig ge-<lb/> macht; und da raͤchet ſich Horaz. Er bringt ſei-<lb/> nem lieben Maͤcenas ein Gedichtchen, das ganz un-<lb/> ſchuldig und ehrbar anfaͤngt: freilich ſind Leute,<lb/> die anders denken: der ſo, und jener ſo; der liebt<lb/> dieſe: und der jene Thorheit; etwas Schwaͤche muß<lb/> man ja jedem Liebhaber ſeiner Sache verzeihen: war-<lb/> um mir nicht das Bißchen Thorheit bei der meini-<lb/> gen? — So launigt aber, mit ſo halblaͤcheln-<lb/> dem Ernſte, ſo unwichtig wichtig in der Charakte-<lb/> riſtik jeder einzelnen Neigung, und feines eignen<lb/> Temperaments, daß eben dieſe Mine, ja der Ton<lb/> des ganzen Stuͤcks wird. Wie wuͤrde ſich nun<lb/> <fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0220]
Kritiſche Waͤlder.
Utraque ſententia nihil aliud innuit, quam inge-
nium Poetæ lyrici concipiendis viſionibus aptum,
impetum, virtutem, eumque furorem, quo af-
flatus ſibi in nemora & ſpecus agi, in ſocietatem
Deorum admitti, in cœlo verſari, numina videre,
Bacchum carmina &c. &c. Man laſſe mich nicht
weiter ſchreiben, was alles der lyriſche Enthuſias-
mus ſey? wie ihn Boileau beſchreibe? wie er
zum lyriſchen Dichter noͤthig ſey? Vortreffliche
Sachen: nur von deren Lehre Horaz ſich hier nicht
traͤumen laͤßt. Vielleicht, daß man ſich in der
muntern Geſellſchaft Maͤcenas uͤber den poetiſchen
Paroxysmus, uͤber ſein Gefuͤhl fuͤr eine Dichter-
ſtunde, uͤber ſeine Liebe zur Einſamkeit, und poeti-
ſchen Stille, uͤber ſeine Begierde nach Dichterlobe,
kurz! uͤber ſein poetiſches Temperament luſtig ge-
macht; und da raͤchet ſich Horaz. Er bringt ſei-
nem lieben Maͤcenas ein Gedichtchen, das ganz un-
ſchuldig und ehrbar anfaͤngt: freilich ſind Leute,
die anders denken: der ſo, und jener ſo; der liebt
dieſe: und der jene Thorheit; etwas Schwaͤche muß
man ja jedem Liebhaber ſeiner Sache verzeihen: war-
um mir nicht das Bißchen Thorheit bei der meini-
gen? — So launigt aber, mit ſo halblaͤcheln-
dem Ernſte, ſo unwichtig wichtig in der Charakte-
riſtik jeder einzelnen Neigung, und feines eignen
Temperaments, daß eben dieſe Mine, ja der Ton
des ganzen Stuͤcks wird. Wie wuͤrde ſich nun
der
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |