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Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

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Drittes Wäldchen.
Roman, Dichtung mag es seyn: aber in der Ge-
schichte will ich nichts glauben, was ich nicht
sehe: Thaten hören, ehe ich das Bild erkenne:
Gesichtszüge sehen, ehe ich Personen charakteri-
sire: das will ich. Was drüber ist, ist vom
Uebel.

Hr. Hausen ist von diesem, so wie von andern
Sachen, ein williger Nachahmer der Franzosen:
aber wie jämmerlich geräth doch meistens die
Creatur, wenn der Deutsche den Franzosen nach-
ahmt? Dieser mahlet uns seine ganze Geschichte
wenigstens so, daß nachher nichts mehr und nichts
weniger, als sein Charakter, herauskommt: er
stellet alles so hin, daß seine endliche Reflexion
eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geschichte
so gegangen wäre, auch wir freilich nichts mehr
und wenigers folgern würden, als was er folgert.
Wir lesen also einen sinnreichen Roman, den wir
mit seinen Porträten und Charakteren so lange für
Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern
Geschichte kommen. Nun aber der trockne Deut-
sche? er ziehet ein verstümmeltes Skelet von Ge-
schichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha-
rakter aus einer andern Quelle heraus: stellt sie ne-
ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet
und -- -- siehe da! ist Hr. Hausen. Ingenia
principum exploravit, moresque descripsit, at-
que cum his caussas elicuit eorum quae ab iis acta,

sunt,
K

Drittes Waͤldchen.
Roman, Dichtung mag es ſeyn: aber in der Ge-
ſchichte will ich nichts glauben, was ich nicht
ſehe: Thaten hoͤren, ehe ich das Bild erkenne:
Geſichtszuͤge ſehen, ehe ich Perſonen charakteri-
ſire: das will ich. Was druͤber iſt, iſt vom
Uebel.

Hr. Hauſen iſt von dieſem, ſo wie von andern
Sachen, ein williger Nachahmer der Franzoſen:
aber wie jaͤmmerlich geraͤth doch meiſtens die
Creatur, wenn der Deutſche den Franzoſen nach-
ahmt? Dieſer mahlet uns ſeine ganze Geſchichte
wenigſtens ſo, daß nachher nichts mehr und nichts
weniger, als ſein Charakter, herauskommt: er
ſtellet alles ſo hin, daß ſeine endliche Reflexion
eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geſchichte
ſo gegangen waͤre, auch wir freilich nichts mehr
und wenigers folgern wuͤrden, als was er folgert.
Wir leſen alſo einen ſinnreichen Roman, den wir
mit ſeinen Portraͤten und Charakteren ſo lange fuͤr
Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern
Geſchichte kommen. Nun aber der trockne Deut-
ſche? er ziehet ein verſtuͤmmeltes Skelet von Ge-
ſchichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha-
rakter aus einer andern Quelle heraus: ſtellt ſie ne-
ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet
und — — ſiehe da! iſt Hr. Hauſen. Ingenia
principum exploravit, moresque deſcripſit, at-
que cum his cauſſas elicuit eorum quæ ab iis acta,

ſunt,
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[145/0151] Drittes Waͤldchen. Roman, Dichtung mag es ſeyn: aber in der Ge- ſchichte will ich nichts glauben, was ich nicht ſehe: Thaten hoͤren, ehe ich das Bild erkenne: Geſichtszuͤge ſehen, ehe ich Perſonen charakteri- ſire: das will ich. Was druͤber iſt, iſt vom Uebel. Hr. Hauſen iſt von dieſem, ſo wie von andern Sachen, ein williger Nachahmer der Franzoſen: aber wie jaͤmmerlich geraͤth doch meiſtens die Creatur, wenn der Deutſche den Franzoſen nach- ahmt? Dieſer mahlet uns ſeine ganze Geſchichte wenigſtens ſo, daß nachher nichts mehr und nichts weniger, als ſein Charakter, herauskommt: er ſtellet alles ſo hin, daß ſeine endliche Reflexion eben daraus erhellet, und wie, wenn die Geſchichte ſo gegangen waͤre, auch wir freilich nichts mehr und wenigers folgern wuͤrden, als was er folgert. Wir leſen alſo einen ſinnreichen Roman, den wir mit ſeinen Portraͤten und Charakteren ſo lange fuͤr Wahrheit halten, bis wir etwa zu einer andern Geſchichte kommen. Nun aber der trockne Deut- ſche? er ziehet ein verſtuͤmmeltes Skelet von Ge- ſchichte aus einer, und ein Fratzenbild von Cha- rakter aus einer andern Quelle heraus: ſtellt ſie ne- ben einander, daß Eins das Andre nicht erkennet und — — ſiehe da! iſt Hr. Hauſen. Ingenia principum exploravit, moresque deſcripſit, at- que cum his cauſſas elicuit eorum quæ ab iis acta, ſunt, K

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/151>, abgerufen am 08.05.2024.