Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Kritische Wälder.
Natürliche liebt, in manchen schönen und über-
schönen Schriften liebkoset. Jene redeten vor
dem Publikum, als vor einem Kreise würdiger
Kenner und Richter; nicht aber so freundschaftlich
süße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa-
miliares.
Jn ihren besten Zeiten kannten sie die
Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce
loquentem;
sie sprachen mit dem Publikum doch
Etwas anders, als der Ehegatte in seiner Schlaf-
kammer, oder der süße Schriftsteller im Cabinette
seines lieben, seines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte selbst -- -- doch wozu
der fortgesetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz
ist kein Grieche; er läßt andre für sich denken und
schreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge-
dacht haben, und er anzuführen beliebt, sein. Jm
Alterthume ist seine Kunstmuse von Winkelmann,
Lessing, Du - bos, Caylus; und in Neuern
von Addison, Hagedorn, Watelet, Du - bos
und einigen andern Franzosen so ganz besessen, daß,
wie gesagt, immer Herr Klotz spricht, und fast im-
mer ein andrer durch ihn. Er weiset andre durch
andre, Winkelmann durch Wacker, Lessing durch
Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Lessing
durch Caylus zurecht; so zurecht, als wenn alle
diese, als Unterbibliothekare seiner Bibliothek unter
der Aussicht des Herrn geheimden Raths, sich wech-
selsweise verbessert und das entscheidende Urtheil

dar-

Kritiſche Waͤlder.
Natuͤrliche liebt, in manchen ſchoͤnen und uͤber-
ſchoͤnen Schriften liebkoſet. Jene redeten vor
dem Publikum, als vor einem Kreiſe wuͤrdiger
Kenner und Richter; nicht aber ſo freundſchaftlich
ſuͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa-
miliares.
Jn ihren beſten Zeiten kannten ſie die
Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce
loquentem;
ſie ſprachen mit dem Publikum doch
Etwas anders, als der Ehegatte in ſeiner Schlaf-
kammer, oder der ſuͤße Schriftſteller im Cabinette
ſeines lieben, ſeines herzlich lieben Freundes.

Ein Grieche dachte ſelbſt — — doch wozu
der fortgeſetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz
iſt kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr ſich denken und
ſchreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge-
dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, ſein. Jm
Alterthume iſt ſeine Kunſtmuſe von Winkelmann,
Leſſing, Du - bos, Caylus; und in Neuern
von Addiſon, Hagedorn, Watelet, Du - bos
und einigen andern Franzoſen ſo ganz beſeſſen, daß,
wie geſagt, immer Herr Klotz ſpricht, und faſt im-
mer ein andrer durch ihn. Er weiſet andre durch
andre, Winkelmann durch Wacker, Leſſing durch
Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leſſing
durch Caylus zurecht; ſo zurecht, als wenn alle
dieſe, als Unterbibliothekare ſeiner Bibliothek unter
der Auſſicht des Herrn geheimden Raths, ſich wech-
ſelsweiſe verbeſſert und das entſcheidende Urtheil

dar-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0026" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Kriti&#x017F;che Wa&#x0364;lder.</hi></fw><lb/>
Natu&#x0364;rliche liebt, in manchen &#x017F;cho&#x0364;nen und u&#x0364;ber-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;nen Schriften <hi rendition="#fr">liebko&#x017F;et.</hi> Jene redeten vor<lb/>
dem Publikum, als vor einem Krei&#x017F;e wu&#x0364;rdiger<lb/>
Kenner und Richter; nicht aber &#x017F;o freund&#x017F;chaftlich<lb/>
&#x017F;u&#x0364;ße, <hi rendition="#aq">amicus ad amicum,</hi> oder wie Cicero <hi rendition="#aq">ad fa-<lb/>
miliares.</hi> Jn ihren be&#x017F;ten Zeiten kannten &#x017F;ie die<lb/><hi rendition="#aq">Lalagen</hi> des Styls nicht, <hi rendition="#aq">dulce ridentem, dulce<lb/>
loquentem;</hi> &#x017F;ie &#x017F;prachen mit dem Publikum doch<lb/>
Etwas anders, als der Ehegatte in &#x017F;einer Schlaf-<lb/>
kammer, oder der &#x017F;u&#x0364;ße Schrift&#x017F;teller im Cabinette<lb/>
&#x017F;eines lieben, &#x017F;eines herzlich lieben Freundes.</p><lb/>
          <p>Ein Grieche dachte &#x017F;elb&#x017F;t &#x2014; &#x2014; doch wozu<lb/>
der fortge&#x017F;etzte Name eines Griechen? Hr. Klotz<lb/>
i&#x017F;t kein Grieche; er la&#x0364;ßt andre fu&#x0364;r &#x017F;ich denken und<lb/>
&#x017F;chreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge-<lb/>
dacht haben, und er anzufu&#x0364;hren beliebt, &#x017F;ein. Jm<lb/>
Alterthume i&#x017F;t &#x017F;eine Kun&#x017F;tmu&#x017F;e von Winkelmann,<lb/>
Le&#x017F;&#x017F;ing, Du - bos, Caylus; und in Neuern<lb/>
von Addi&#x017F;on, <hi rendition="#fr">Hagedorn, Watelet,</hi> Du - bos<lb/>
und einigen andern Franzo&#x017F;en &#x017F;o ganz be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, daß,<lb/>
wie ge&#x017F;agt, immer Herr Klotz &#x017F;pricht, und fa&#x017F;t im-<lb/>
mer ein andrer durch ihn. Er wei&#x017F;et andre durch<lb/>
andre, Winkelmann durch Wacker, Le&#x017F;&#x017F;ing durch<lb/>
Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Le&#x017F;&#x017F;ing<lb/>
durch Caylus zurecht; &#x017F;o zurecht, als wenn alle<lb/>
die&#x017F;e, als Unterbibliothekare &#x017F;einer Bibliothek unter<lb/>
der Au&#x017F;&#x017F;icht des Herrn geheimden Raths, &#x017F;ich wech-<lb/>
&#x017F;elswei&#x017F;e verbe&#x017F;&#x017F;ert und das ent&#x017F;cheidende Urtheil<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dar-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0026] Kritiſche Waͤlder. Natuͤrliche liebt, in manchen ſchoͤnen und uͤber- ſchoͤnen Schriften liebkoſet. Jene redeten vor dem Publikum, als vor einem Kreiſe wuͤrdiger Kenner und Richter; nicht aber ſo freundſchaftlich ſuͤße, amicus ad amicum, oder wie Cicero ad fa- miliares. Jn ihren beſten Zeiten kannten ſie die Lalagen des Styls nicht, dulce ridentem, dulce loquentem; ſie ſprachen mit dem Publikum doch Etwas anders, als der Ehegatte in ſeiner Schlaf- kammer, oder der ſuͤße Schriftſteller im Cabinette ſeines lieben, ſeines herzlich lieben Freundes. Ein Grieche dachte ſelbſt — — doch wozu der fortgeſetzte Name eines Griechen? Hr. Klotz iſt kein Grieche; er laͤßt andre fuͤr ſich denken und ſchreibt; eben dadurch aber wird, was andre ge- dacht haben, und er anzufuͤhren beliebt, ſein. Jm Alterthume iſt ſeine Kunſtmuſe von Winkelmann, Leſſing, Du - bos, Caylus; und in Neuern von Addiſon, Hagedorn, Watelet, Du - bos und einigen andern Franzoſen ſo ganz beſeſſen, daß, wie geſagt, immer Herr Klotz ſpricht, und faſt im- mer ein andrer durch ihn. Er weiſet andre durch andre, Winkelmann durch Wacker, Leſſing durch Wacker, Caylus durch Winkelmann, und Leſſing durch Caylus zurecht; ſo zurecht, als wenn alle dieſe, als Unterbibliothekare ſeiner Bibliothek unter der Auſſicht des Herrn geheimden Raths, ſich wech- ſelsweiſe verbeſſert und das entſcheidende Urtheil dar-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/26
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/26>, abgerufen am 27.04.2024.