Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769.

Bild:
<< vorherige Seite

Drittes Wäldchen.
konnten die Bilder derselben frey bleiben? Geburt
und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen
und Eroberungen, Krönungen und Jubelfeste,
Stiftungen und Friedensschlüsse, Aemter und
Stände sind mit einem Getümmel individualisiren-
der Umstände begleitet, die diese Begebenheit von
allen ähnlichen Begebenheiten unterscheiden sollen.
Nun ist freilich hier die Regel leicht zu geben:
Abstrahire von allen diesen concreten Umständen
einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art
der Alten und du hast eine Münze von Geschmack:
allgemein hingesagt, ist dies Recipe, misce,
fiet,
leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal
die Sache nur eben die bleibt und keine andre
wird? Daß unter dem abstrakten Begriffe im Bil-
de, nicht die concrete Begebenheit verschwinde?
Wahrhaftig schwerer! und ein vollständiges Re-
pertorium besserer Vorstellungen geben im Ge-
schmacke der Alten, und doch, daß unsre Welt
omnimod angedeutet werde, vielleicht unmöglich.
Ueberweg also vergleichen, trift nicht. Das Mit-
telstück der Vergleichung schwankt; die sinnlich
abzubildende und abgebildete Welt der Alten ist
nicht mehr unsre Welt.

Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo-
graphischen Beschreibungen unserer Schlachten,
und Siege, die Risse unsrer Städte und Vestun-
gen, das Getümmel von Figuren bei einer Krönung,

oder

Drittes Waͤldchen.
konnten die Bilder derſelben frey bleiben? Geburt
und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen
und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeſte,
Stiftungen und Friedensſchluͤſſe, Aemter und
Staͤnde ſind mit einem Getuͤmmel individualiſiren-
der Umſtaͤnde begleitet, die dieſe Begebenheit von
allen aͤhnlichen Begebenheiten unterſcheiden ſollen.
Nun iſt freilich hier die Regel leicht zu geben:
Abſtrahire von allen dieſen concreten Umſtaͤnden
einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art
der Alten und du haſt eine Muͤnze von Geſchmack:
allgemein hingeſagt, iſt dies Recipe, miſce,
fiet,
leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal
die Sache nur eben die bleibt und keine andre
wird? Daß unter dem abſtrakten Begriffe im Bil-
de, nicht die concrete Begebenheit verſchwinde?
Wahrhaftig ſchwerer! und ein vollſtaͤndiges Re-
pertorium beſſerer Vorſtellungen geben im Ge-
ſchmacke der Alten, und doch, daß unſre Welt
omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich.
Ueberweg alſo vergleichen, trift nicht. Das Mit-
telſtuͤck der Vergleichung ſchwankt; die ſinnlich
abzubildende und abgebildete Welt der Alten iſt
nicht mehr unſre Welt.

Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo-
graphiſchen Beſchreibungen unſerer Schlachten,
und Siege, die Riſſe unſrer Staͤdte und Veſtun-
gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung,

oder
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Drittes Wa&#x0364;ldchen.</hi></fw><lb/>
konnten die Bilder der&#x017F;elben frey bleiben? Geburt<lb/>
und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen<lb/>
und Eroberungen, Kro&#x0364;nungen und Jubelfe&#x017F;te,<lb/>
Stiftungen und Friedens&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, Aemter und<lb/>
Sta&#x0364;nde &#x017F;ind mit einem Getu&#x0364;mmel individuali&#x017F;iren-<lb/>
der Um&#x017F;ta&#x0364;nde begleitet, die die&#x017F;e Begebenheit von<lb/>
allen a&#x0364;hnlichen Begebenheiten unter&#x017F;cheiden &#x017F;ollen.<lb/>
Nun i&#x017F;t freilich hier die Regel leicht zu geben:<lb/>
Ab&#x017F;trahire von allen die&#x017F;en concreten Um&#x017F;ta&#x0364;nden<lb/>
einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art<lb/>
der Alten und du ha&#x017F;t eine Mu&#x0364;nze von Ge&#x017F;chmack:<lb/>
allgemein hinge&#x017F;agt, i&#x017F;t dies <hi rendition="#aq">Recipe, mi&#x017F;ce,<lb/>
fiet,</hi> leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal<lb/>
die Sache nur eben die bleibt und keine andre<lb/>
wird? Daß unter dem ab&#x017F;trakten Begriffe im Bil-<lb/>
de, nicht die concrete Begebenheit ver&#x017F;chwinde?<lb/>
Wahrhaftig &#x017F;chwerer! und ein voll&#x017F;ta&#x0364;ndiges Re-<lb/>
pertorium be&#x017F;&#x017F;erer Vor&#x017F;tellungen geben im Ge-<lb/>
&#x017F;chmacke der Alten, und doch, daß un&#x017F;re Welt<lb/><hi rendition="#fr">omnimod</hi> angedeutet werde, vielleicht unmo&#x0364;glich.<lb/>
Ueberweg al&#x017F;o vergleichen, trift nicht. Das Mit-<lb/>
tel&#x017F;tu&#x0364;ck der Vergleichung &#x017F;chwankt; die &#x017F;innlich<lb/>
abzubildende und abgebildete Welt der Alten i&#x017F;t<lb/>
nicht mehr un&#x017F;re Welt.</p><lb/>
          <p>Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo-<lb/>
graphi&#x017F;chen Be&#x017F;chreibungen un&#x017F;erer Schlachten,<lb/>
und Siege, die Ri&#x017F;&#x017F;e un&#x017F;rer Sta&#x0364;dte und Ve&#x017F;tun-<lb/>
gen, das Getu&#x0364;mmel von Figuren bei einer Kro&#x0364;nung,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0069] Drittes Waͤldchen. konnten die Bilder derſelben frey bleiben? Geburt und Tod, Schlachten und Siege, Belagerungen und Eroberungen, Kroͤnungen und Jubelfeſte, Stiftungen und Friedensſchluͤſſe, Aemter und Staͤnde ſind mit einem Getuͤmmel individualiſiren- der Umſtaͤnde begleitet, die dieſe Begebenheit von allen aͤhnlichen Begebenheiten unterſcheiden ſollen. Nun iſt freilich hier die Regel leicht zu geben: Abſtrahire von allen dieſen concreten Umſtaͤnden einen Hauptbegriff, kleide ihn in Bild nach Art der Alten und du haſt eine Muͤnze von Geſchmack: allgemein hingeſagt, iſt dies Recipe, miſce, fiet, leicht; aber anzuwenden? Daß jedesmal die Sache nur eben die bleibt und keine andre wird? Daß unter dem abſtrakten Begriffe im Bil- de, nicht die concrete Begebenheit verſchwinde? Wahrhaftig ſchwerer! und ein vollſtaͤndiges Re- pertorium beſſerer Vorſtellungen geben im Ge- ſchmacke der Alten, und doch, daß unſre Welt omnimod angedeutet werde, vielleicht unmoͤglich. Ueberweg alſo vergleichen, trift nicht. Das Mit- telſtuͤck der Vergleichung ſchwankt; die ſinnlich abzubildende und abgebildete Welt der Alten iſt nicht mehr unſre Welt. Nichts weniger, als daß ich hiemit die topo- graphiſchen Beſchreibungen unſerer Schlachten, und Siege, die Riſſe unſrer Staͤdte und Veſtun- gen, das Getuͤmmel von Figuren bei einer Kroͤnung, oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/69
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Kritische Wälder. Bd. 3. Riga, 1769, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_kritische03_1769/69>, abgerufen am 08.05.2024.