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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767.

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den Geist der Begebenheiten dringen, ist ein
Geschichtschreiber für Deutsche. Und in sei-
nem Stil auch mehr, als jener. * "Der
"Stil kann durch die verschiednen Zeiten auch
"bestimmt werden. Dies ist eine Anmer-
"kung, die ich dem Gordon aus seinen Be-
"trachtungen über den Tacitus abborge.
"Einige Zeiten können eine starke braune Far-
"be über die meisten Gemälde verbreiten,
"wenn andre Zeiten ein höheres und bren-
"nenderes Colorit geben. Gordon erklärt
"daraus den Unterschied zwischen dem Stil
"des Livius und Tacitus. Vielleicht würde
"sich auch in den gegenwärtigen Zeiten der
"Stil mehr dem Tacitus als Livius nä-
"hern dürfen. Unsre Sprache, die ohnehin
"viel weitschweifiger ist, als die Lateinische,
"fodert dies mit desto stärkerm Rechte. Man
"hat den historischen Stil mit einem sanften
"Bach verglichen, der ohne Geräusch seinen
"gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß
"nur dabei bedenken, daß dieser Bach immer
"seine gehörige Tiefe behalten muß; weil sich

"sonst
* Litt. Br. Th. 10. p. 213.

den Geiſt der Begebenheiten dringen, iſt ein
Geſchichtſchreiber fuͤr Deutſche. Und in ſei-
nem Stil auch mehr, als jener. * „Der
„Stil kann durch die verſchiednen Zeiten auch
„beſtimmt werden. Dies iſt eine Anmer-
„kung, die ich dem Gordon aus ſeinen Be-
„trachtungen uͤber den Tacitus abborge.
„Einige Zeiten koͤnnen eine ſtarke braune Far-
„be uͤber die meiſten Gemaͤlde verbreiten,
„wenn andre Zeiten ein hoͤherés und bren-
„nenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt
„daraus den Unterſchied zwiſchen dem Stil
„des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde
„ſich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der
„Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤ-
„hern duͤrfen. Unſre Sprache, die ohnehin
„viel weitſchweifiger iſt, als die Lateiniſche,
„fodert dies mit deſto ſtaͤrkerm Rechte. Man
„hat den hiſtoriſchen Stil mit einem ſanften
„Bach verglichen, der ohne Geraͤuſch ſeinen
„gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß
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* Litt. Br. Th. 10. p. 213.
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[86/0090] den Geiſt der Begebenheiten dringen, iſt ein Geſchichtſchreiber fuͤr Deutſche. Und in ſei- nem Stil auch mehr, als jener. * „Der „Stil kann durch die verſchiednen Zeiten auch „beſtimmt werden. Dies iſt eine Anmer- „kung, die ich dem Gordon aus ſeinen Be- „trachtungen uͤber den Tacitus abborge. „Einige Zeiten koͤnnen eine ſtarke braune Far- „be uͤber die meiſten Gemaͤlde verbreiten, „wenn andre Zeiten ein hoͤherés und bren- „nenderes Colorit geben. Gordon erklaͤrt „daraus den Unterſchied zwiſchen dem Stil „des Livius und Tacitus. Vielleicht wuͤrde „ſich auch in den gegenwaͤrtigen Zeiten der „Stil mehr dem Tacitus als Livius naͤ- „hern duͤrfen. Unſre Sprache, die ohnehin „viel weitſchweifiger iſt, als die Lateiniſche, „fodert dies mit deſto ſtaͤrkerm Rechte. Man „hat den hiſtoriſchen Stil mit einem ſanften „Bach verglichen, der ohne Geraͤuſch ſeinen „gleichen Lauf fortmurmelt: aber man muß „nur dabei bedenken, daß dieſer Bach immer „ſeine gehoͤrige Tiefe behalten muß; weil ſich „ſonſt * Litt. Br. Th. 10. p. 213.

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 1. Riga, 1767, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur01_1767/90>, abgerufen am 29.04.2024.