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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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der Schwung, der Theatralische Tritt, die
Musikalische Harmonie ihrer Originalsprache
völlig, von denen sich noch eins und das
andre durch das Klopstocksche freie Sylben-
maas hätte retten lassen? Ein Deutsches Ge-
nie versuche es nach Steinbrüchel, Tra-
gische Chöre nachzubilden, werden sie wohl
im Griechischen Geist seyn? Jndessen gebe
ichs zu, daß St. durch seine Uebersezzung
weit mehr Original ist, da er Deutschland
mit den größesten Tragischen Poeten bekannt
macht, als wenn er uns zehn mitleidige
Schweizertragödien nach Griechischer Manier
gegeben hätte. Von den Griechen hat unser
Theater noch am wenigsten, oder lieber gar
nichts gelernt.

Die Liebhaber der Griechischen Litte-
ratur
legen ihn aus der Hand! Man sucht
vergebens etwas, das uns das Genie der
Griechen, ihres Theaters, und den Charak-
ter seines Autors kostet, und zu schmecken
giebt.

Und die Sprache? ist freilich in ihrem
Dialekt unangenehm; nicht blos die Schwei-
zerwörter werden unausstehlich: sondern [d]as

Colo-

der Schwung, der Theatraliſche Tritt, die
Muſikaliſche Harmonie ihrer Originalſprache
voͤllig, von denen ſich noch eins und das
andre durch das Klopſtockſche freie Sylben-
maas haͤtte retten laſſen? Ein Deutſches Ge-
nie verſuche es nach Steinbruͤchel, Tra-
giſche Choͤre nachzubilden, werden ſie wohl
im Griechiſchen Geiſt ſeyn? Jndeſſen gebe
ichs zu, daß St. durch ſeine Ueberſezzung
weit mehr Original iſt, da er Deutſchland
mit den groͤßeſten Tragiſchen Poeten bekannt
macht, als wenn er uns zehn mitleidige
Schweizertragoͤdien nach Griechiſcher Manier
gegeben haͤtte. Von den Griechen hat unſer
Theater noch am wenigſten, oder lieber gar
nichts gelernt.

Die Liebhaber der Griechiſchen Litte-
ratur
legen ihn aus der Hand! Man ſucht
vergebens etwas, das uns das Genie der
Griechen, ihres Theaters, und den Charak-
ter ſeines Autors koſtet, und zu ſchmecken
giebt.

Und die Sprache? iſt freilich in ihrem
Dialekt unangenehm; nicht blos die Schwei-
zerwoͤrter werden unausſtehlich: ſondern [d]as

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[270/0102] der Schwung, der Theatraliſche Tritt, die Muſikaliſche Harmonie ihrer Originalſprache voͤllig, von denen ſich noch eins und das andre durch das Klopſtockſche freie Sylben- maas haͤtte retten laſſen? Ein Deutſches Ge- nie verſuche es nach Steinbruͤchel, Tra- giſche Choͤre nachzubilden, werden ſie wohl im Griechiſchen Geiſt ſeyn? Jndeſſen gebe ichs zu, daß St. durch ſeine Ueberſezzung weit mehr Original iſt, da er Deutſchland mit den groͤßeſten Tragiſchen Poeten bekannt macht, als wenn er uns zehn mitleidige Schweizertragoͤdien nach Griechiſcher Manier gegeben haͤtte. Von den Griechen hat unſer Theater noch am wenigſten, oder lieber gar nichts gelernt. Die Liebhaber der Griechiſchen Litte- ratur legen ihn aus der Hand! Man ſucht vergebens etwas, das uns das Genie der Griechen, ihres Theaters, und den Charak- ter ſeines Autors koſtet, und zu ſchmecken giebt. Und die Sprache? iſt freilich in ihrem Dialekt unangenehm; nicht blos die Schwei- zerwoͤrter werden unausſtehlich: ſondern das Colo-

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/102>, abgerufen am 28.04.2024.