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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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schöne Kunst, als bei uns, und von der Dicht-
kunst unzertrennlich war: und schöne Leibes-
übungen erlernen. Wer also seinen Verstand,
seinen schönen Geschmack und seinen Kör-
per
ausgebildet hatte: der war ein Attischer
kalokagathos: er war weder ein Weiser,
noch Dichter, noch Fechter; aber Anlage
hatte er, Weiser, Dichter und Olympischer
Sieger zu werden. Wer einen Griechischen
kalos k'agathos in seinem ganzen Glanze
sehen will: der lese, obgleich nicht das Wort
selbst als Ueberschrift drüber stehet, einige
Pindarische Oden auf seine Griechische Jüng-
linge, die doch mehr als gute hübsche Jun-
gens waren.

Aber freilich auch nicht Virtuosen im Wie-
landischen hohen Gusto! oder lieber gleich im
Geschmack des Shaftersbury: dem Wie-
land nicht blos den Begrif des Virtuosen, son-
dern auch die Analogie mit kalos k'agathos
abborgt. Dieser Weltweise, der den Plato-
nismus nach dem Modegeschmack seiner Zeit
einkleidet, und endlich auch in Griechenland die-
sen Lieblingsgeschmack findet, bestimmt seine

Vir-
U

ſchoͤne Kunſt, als bei uns, und von der Dicht-
kunſt unzertrennlich war: und ſchoͤne Leibes-
uͤbungen erlernen. Wer alſo ſeinen Verſtand,
ſeinen ſchoͤnen Geſchmack und ſeinen Koͤr-
per
ausgebildet hatte: der war ein Attiſcher
καλοκᾳγαϑος: er war weder ein Weiſer,
noch Dichter, noch Fechter; aber Anlage
hatte er, Weiſer, Dichter und Olympiſcher
Sieger zu werden. Wer einen Griechiſchen
καλος κ’αγαϑος in ſeinem ganzen Glanze
ſehen will: der leſe, obgleich nicht das Wort
ſelbſt als Ueberſchrift druͤber ſtehet, einige
Pindariſche Oden auf ſeine Griechiſche Juͤng-
linge, die doch mehr als gute huͤbſche Jun-
gens waren.

Aber freilich auch nicht Virtuoſen im Wie-
landiſchen hohen Guſto! oder lieber gleich im
Geſchmack des Shaftersbury: dem Wie-
land nicht blos den Begrif des Virtuoſen, ſon-
dern auch die Analogie mit καλος κ’αγαϑος
abborgt. Dieſer Weltweiſe, der den Plato-
nismus nach dem Modegeſchmack ſeiner Zeit
einkleidet, und endlich auch in Griechenland die-
ſen Lieblingsgeſchmack findet, beſtimmt ſeine

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[293/0125] ſchoͤne Kunſt, als bei uns, und von der Dicht- kunſt unzertrennlich war: und ſchoͤne Leibes- uͤbungen erlernen. Wer alſo ſeinen Verſtand, ſeinen ſchoͤnen Geſchmack und ſeinen Koͤr- per ausgebildet hatte: der war ein Attiſcher καλοκᾳγαϑος: er war weder ein Weiſer, noch Dichter, noch Fechter; aber Anlage hatte er, Weiſer, Dichter und Olympiſcher Sieger zu werden. Wer einen Griechiſchen καλος κ’αγαϑος in ſeinem ganzen Glanze ſehen will: der leſe, obgleich nicht das Wort ſelbſt als Ueberſchrift druͤber ſtehet, einige Pindariſche Oden auf ſeine Griechiſche Juͤng- linge, die doch mehr als gute huͤbſche Jun- gens waren. Aber freilich auch nicht Virtuoſen im Wie- landiſchen hohen Guſto! oder lieber gleich im Geſchmack des Shaftersbury: dem Wie- land nicht blos den Begrif des Virtuoſen, ſon- dern auch die Analogie mit καλος κ’αγαϑος abborgt. Dieſer Weltweiſe, der den Plato- nismus nach dem Modegeſchmack ſeiner Zeit einkleidet, und endlich auch in Griechenland die- ſen Lieblingsgeſchmack findet, beſtimmt ſeine Vir- U

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/125>, abgerufen am 28.04.2024.