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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

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tesbury damals geblühet. Es scheint viel-
mehr dieser Philosoph sich selbst zu malen,
und den Geschmack, der damals am Hofe
Carls des zweiten galt, bis zu einem gewissen
Jdeal zu erhöhen und verfeinern, das immer
in den neuen Zeiten ein Muster eines brauch-
baren, geschickten, angenehmen Mannes seyn
kann, aber den Begrif des Griechischen Worts
immer umbilden muß, selbst wie es Plutarch
und die neuern Griechen brauchen. Shaf-
tesbury
fodert zu seinem Virtuosen, wenn
er in Griechenland exsistirte, freilich das
Lesen des Homers, und das zwar als das er-
ste A B C; aber ein Moralisches Lesen des
Homers? Ein Him melweiter Unterschied!

Wozu aber so viel über ein Wort? Ueber
ein Wort, das immer der Ausdruck ihres
Charakters, und der Gipfel ihrer Lobsprüche
war, kann man nie zu viel sagen: die Er-
klarung solcher Wörter schließt uns Denkart
und Policey, Laune und Sitten, kurz das Na-
tionalgeheimniß auf, ohne das wir immer
von einem Volke, schief urtheilen, schief lernen,
und unleidlich nachahmen. Jch würde es
als einen Beitrag zur Griechischen und Rö-

mischen
U 2

tesbury damals gebluͤhet. Es ſcheint viel-
mehr dieſer Philoſoph ſich ſelbſt zu malen,
und den Geſchmack, der damals am Hofe
Carls des zweiten galt, bis zu einem gewiſſen
Jdeal zu erhoͤhen und verfeinern, das immer
in den neuen Zeiten ein Muſter eines brauch-
baren, geſchickten, angenehmen Mannes ſeyn
kann, aber den Begrif des Griechiſchen Worts
immer umbilden muß, ſelbſt wie es Plutarch
und die neuern Griechen brauchen. Shaf-
tesbury
fodert zu ſeinem Virtuoſen, wenn
er in Griechenland exſiſtirte, freilich das
Leſen des Homers, und das zwar als das er-
ſte A B C; aber ein Moraliſches Leſen des
Homers? Ein Him melweiter Unterſchied!

Wozu aber ſo viel uͤber ein Wort? Ueber
ein Wort, das immer der Ausdruck ihres
Charakters, und der Gipfel ihrer Lobſpruͤche
war, kann man nie zu viel ſagen: die Er-
klårung ſolcher Woͤrter ſchließt uns Denkart
und Policey, Laune und Sitten, kurz das Na-
tionalgeheimniß auf, ohne das wir immer
von einem Volke, ſchief urtheilen, ſchief lernen,
und unleidlich nachahmen. Jch wuͤrde es
als einen Beitrag zur Griechiſchen und Roͤ-

miſchen
U 2
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[295/0127] tesbury damals gebluͤhet. Es ſcheint viel- mehr dieſer Philoſoph ſich ſelbſt zu malen, und den Geſchmack, der damals am Hofe Carls des zweiten galt, bis zu einem gewiſſen Jdeal zu erhoͤhen und verfeinern, das immer in den neuen Zeiten ein Muſter eines brauch- baren, geſchickten, angenehmen Mannes ſeyn kann, aber den Begrif des Griechiſchen Worts immer umbilden muß, ſelbſt wie es Plutarch und die neuern Griechen brauchen. Shaf- tesbury fodert zu ſeinem Virtuoſen, wenn er in Griechenland exſiſtirte, freilich das Leſen des Homers, und das zwar als das er- ſte A B C; aber ein Moraliſches Leſen des Homers? Ein Him melweiter Unterſchied! Wozu aber ſo viel uͤber ein Wort? Ueber ein Wort, das immer der Ausdruck ihres Charakters, und der Gipfel ihrer Lobſpruͤche war, kann man nie zu viel ſagen: die Er- klårung ſolcher Woͤrter ſchließt uns Denkart und Policey, Laune und Sitten, kurz das Na- tionalgeheimniß auf, ohne das wir immer von einem Volke, ſchief urtheilen, ſchief lernen, und unleidlich nachahmen. Jch wuͤrde es als einen Beitrag zur Griechiſchen und Roͤ- miſchen U 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/127>, abgerufen am 28.04.2024.