Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

Sappho zu seyn, in Anordnung, Feuer und
Wohlklang; wie es beinahe jezt ist: und
nichts wünsche ich ihren Gedichten minder,
als das Schicksal, das die Sapphischen hat-
ten: sie giengen unter, oder geriethen unter
die unerbittliche Verstümmelung Kritischer
Kipper und Wipper; wie leicht könnten sich
Kunstrichter des lezten bei den Karschischen Ge-
dichten anmaßen, wenn es die Verfasserin
nicht selbst thun will?



Wie mag es aber gekommen seyn, daß Sap-
pho
unterging? Du wirst vielleicht sagen:
wer kann wider Gott und Novogrod? Allein!
ein Kunstrichter, der vermuthlich - Offenba-
rung gehabt, wird dir diesen Jrrthum beneh-
men: * "Korinna und Sappho, die unmäs-
"sig und ausgelassen waren, musten dafür
"büßen: ihre Verse gingen unter, und ihr
"Name blieb zwar, doch mit dem schandba-
"ren Nachklange, daß sie verbuhlte Dirnen
"gewesen."

So
* Litter. Br. Th. 21. p. 75.
B b

Sappho zu ſeyn, in Anordnung, Feuer und
Wohlklang; wie es beinahe jezt iſt: und
nichts wuͤnſche ich ihren Gedichten minder,
als das Schickſal, das die Sapphiſchen hat-
ten: ſie giengen unter, oder geriethen unter
die unerbittliche Verſtuͤmmelung Kritiſcher
Kipper und Wipper; wie leicht koͤnnten ſich
Kunſtrichter des lezten bei den Karſchiſchen Ge-
dichten anmaßen, wenn es die Verfaſſerin
nicht ſelbſt thun will?



Wie mag es aber gekommen ſeyn, daß Sap-
pho
unterging? Du wirſt vielleicht ſagen:
wer kann wider Gott und Novogrod? Allein!
ein Kunſtrichter, der vermuthlich - Offenba-
rung gehabt, wird dir dieſen Jrrthum beneh-
men: * „Korinna und Sappho, die unmaͤſ-
„ſig und ausgelaſſen waren, muſten dafuͤr
„buͤßen: ihre Verſe gingen unter, und ihr
„Name blieb zwar, doch mit dem ſchandba-
„ren Nachklange, daß ſie verbuhlte Dirnen
„geweſen.„

So
* Litter. Br. Th. 21. p. 75.
B b
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0205" n="373"/>
Sappho zu &#x017F;eyn, in Anordnung, Feuer und<lb/>
Wohlklang; wie es beinahe jezt i&#x017F;t: und<lb/>
nichts wu&#x0364;n&#x017F;che ich ihren Gedichten minder,<lb/>
als das Schick&#x017F;al, das die Sapphi&#x017F;chen hat-<lb/>
ten: &#x017F;ie giengen unter, oder geriethen unter<lb/>
die unerbittliche Ver&#x017F;tu&#x0364;mmelung Kriti&#x017F;cher<lb/>
Kipper und Wipper; wie leicht ko&#x0364;nnten &#x017F;ich<lb/>
Kun&#x017F;trichter des lezten bei den Kar&#x017F;chi&#x017F;chen Ge-<lb/>
dichten anmaßen, wenn es die Verfa&#x017F;&#x017F;erin<lb/>
nicht &#x017F;elb&#x017F;t thun will?</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Wie mag es aber gekommen &#x017F;eyn, daß <hi rendition="#fr">Sap-<lb/>
pho</hi> unterging? Du wir&#x017F;t vielleicht &#x017F;agen:<lb/>
wer kann wider Gott und Novogrod? Allein!<lb/>
ein Kun&#x017F;trichter, der vermuthlich - Offenba-<lb/>
rung gehabt, wird dir die&#x017F;en Jrrthum beneh-<lb/>
men: <note place="foot" n="*">Litter. Br. Th. 21. p. 75.</note> &#x201E;Korinna und Sappho, die unma&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x201E;&#x017F;ig und ausgela&#x017F;&#x017F;en waren, mu&#x017F;ten dafu&#x0364;r<lb/>
&#x201E;bu&#x0364;ßen: ihre Ver&#x017F;e gingen unter, und ihr<lb/>
&#x201E;Name blieb zwar, doch mit dem &#x017F;chandba-<lb/>
&#x201E;ren Nachklange, daß &#x017F;ie verbuhlte Dirnen<lb/>
&#x201E;gewe&#x017F;en.&#x201E;</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">So</fw><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">B b</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[373/0205] Sappho zu ſeyn, in Anordnung, Feuer und Wohlklang; wie es beinahe jezt iſt: und nichts wuͤnſche ich ihren Gedichten minder, als das Schickſal, das die Sapphiſchen hat- ten: ſie giengen unter, oder geriethen unter die unerbittliche Verſtuͤmmelung Kritiſcher Kipper und Wipper; wie leicht koͤnnten ſich Kunſtrichter des lezten bei den Karſchiſchen Ge- dichten anmaßen, wenn es die Verfaſſerin nicht ſelbſt thun will? Wie mag es aber gekommen ſeyn, daß Sap- pho unterging? Du wirſt vielleicht ſagen: wer kann wider Gott und Novogrod? Allein! ein Kunſtrichter, der vermuthlich - Offenba- rung gehabt, wird dir dieſen Jrrthum beneh- men: * „Korinna und Sappho, die unmaͤſ- „ſig und ausgelaſſen waren, muſten dafuͤr „buͤßen: ihre Verſe gingen unter, und ihr „Name blieb zwar, doch mit dem ſchandba- „ren Nachklange, daß ſie verbuhlte Dirnen „geweſen.„ So * Litter. Br. Th. 21. p. 75. B b

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/205
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 2. Riga, 1767, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur02_1767/205>, abgerufen am 29.04.2024.