Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

Bild:
<< vorherige Seite

die Belagerung von Troja, die Himmels-
stürmerei,
und alle jene Fabeln, die in der
Geschichte
ihren Ursprung haben, so schöpfe-
risch in poetische Leiber zu hüllen, und ihnen
dichterischen Geist einzuhauchen. Was ist
Skamander, und Olymp, und alle die heilige
Oerter und Geschichte, die der Stoff zu ih-
rer Mythologie ursprünglich gewesen? Jch
besehe sie in den Reisebeschreibungen, ich ziehe
in der alten Geschichte ihren poetischen
Schmuck aus, was sind sie? -- Himmel!
das habe ich alles in meinem Lande, in mei-
ner Geschichte, rings um mich liegt der Stoff
zu diesem poetischen Gebäude; aber eins fehlt:
poetischer Geist. Bewundern müssen wir
euch, ihr Alten, und die Augen niederschla-
gen: ihr erhobt Kleinigkeiten aus dem Stau-
be, zu einer glänzenden Höhe; wir lassen die
ganze Schöpfung um uns, öde und wüst trau-
ren, um euch nur zu plündern, und das Ge-
plünderte elend anzuwenden.

Wenn Horaz sich einen Augustus unsrer
Zeit wählte: würde er wohl unter den Trüm-
mern alter mythologischen Geschichte sich ver-
irren, oder ists wahrscheinlicher, er würde

auf

die Belagerung von Troja, die Himmels-
ſtuͤrmerei,
und alle jene Fabeln, die in der
Geſchichte
ihren Urſprung haben, ſo ſchoͤpfe-
riſch in poetiſche Leiber zu huͤllen, und ihnen
dichteriſchen Geiſt einzuhauchen. Was iſt
Skamander, und Olymp, und alle die heilige
Oerter und Geſchichte, die der Stoff zu ih-
rer Mythologie urſpruͤnglich geweſen? Jch
beſehe ſie in den Reiſebeſchreibungen, ich ziehe
in der alten Geſchichte ihren poetiſchen
Schmuck aus, was ſind ſie? — Himmel!
das habe ich alles in meinem Lande, in mei-
ner Geſchichte, rings um mich liegt der Stoff
zu dieſem poetiſchen Gebaͤude; aber eins fehlt:
poetiſcher Geiſt. Bewundern muͤſſen wir
euch, ihr Alten, und die Augen niederſchla-
gen: ihr erhobt Kleinigkeiten aus dem Stau-
be, zu einer glaͤnzenden Hoͤhe; wir laſſen die
ganze Schoͤpfung um uns, oͤde und wuͤſt trau-
ren, um euch nur zu pluͤndern, und das Ge-
pluͤnderte elend anzuwenden.

Wenn Horaz ſich einen Auguſtus unſrer
Zeit waͤhlte: wuͤrde er wohl unter den Truͤm-
mern alter mythologiſchen Geſchichte ſich ver-
irren, oder iſts wahrſcheinlicher, er wuͤrde

auf
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0162" n="154"/>
die <hi rendition="#fr">Belagerung von Troja,</hi> die <hi rendition="#fr">Himmels-<lb/>
&#x017F;tu&#x0364;rmerei,</hi> und alle jene Fabeln, die <hi rendition="#fr">in der<lb/>
Ge&#x017F;chichte</hi> ihren Ur&#x017F;prung haben, &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;pfe-<lb/>
ri&#x017F;ch in poeti&#x017F;che Leiber zu hu&#x0364;llen, und ihnen<lb/>
dichteri&#x017F;chen Gei&#x017F;t einzuhauchen. Was i&#x017F;t<lb/>
Skamander, und Olymp, und alle die heilige<lb/>
Oerter und Ge&#x017F;chichte, die der Stoff zu ih-<lb/>
rer Mythologie ur&#x017F;pru&#x0364;nglich gewe&#x017F;en? Jch<lb/>
be&#x017F;ehe &#x017F;ie in den Rei&#x017F;ebe&#x017F;chreibungen, ich ziehe<lb/>
in der alten Ge&#x017F;chichte ihren poeti&#x017F;chen<lb/>
Schmuck aus, was &#x017F;ind &#x017F;ie? &#x2014; Himmel!<lb/>
das habe ich alles in meinem Lande, in mei-<lb/>
ner Ge&#x017F;chichte, rings um mich liegt der Stoff<lb/>
zu die&#x017F;em poeti&#x017F;chen Geba&#x0364;ude; aber eins fehlt:<lb/>
poeti&#x017F;cher Gei&#x017F;t. Bewundern mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en wir<lb/>
euch, ihr Alten, und die Augen nieder&#x017F;chla-<lb/>
gen: ihr erhobt Kleinigkeiten aus dem Stau-<lb/>
be, zu einer gla&#x0364;nzenden Ho&#x0364;he; wir la&#x017F;&#x017F;en die<lb/>
ganze Scho&#x0364;pfung um uns, o&#x0364;de und wu&#x0364;&#x017F;t trau-<lb/>
ren, um euch nur zu plu&#x0364;ndern, und das Ge-<lb/>
plu&#x0364;nderte elend anzuwenden.</p><lb/>
                <p>Wenn <hi rendition="#fr">Horaz</hi> &#x017F;ich einen Augu&#x017F;tus un&#x017F;rer<lb/>
Zeit wa&#x0364;hlte: wu&#x0364;rde er wohl unter den Tru&#x0364;m-<lb/>
mern alter mythologi&#x017F;chen Ge&#x017F;chichte &#x017F;ich ver-<lb/>
irren, oder i&#x017F;ts wahr&#x017F;cheinlicher, er wu&#x0364;rde<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">auf</fw><lb/></p>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0162] die Belagerung von Troja, die Himmels- ſtuͤrmerei, und alle jene Fabeln, die in der Geſchichte ihren Urſprung haben, ſo ſchoͤpfe- riſch in poetiſche Leiber zu huͤllen, und ihnen dichteriſchen Geiſt einzuhauchen. Was iſt Skamander, und Olymp, und alle die heilige Oerter und Geſchichte, die der Stoff zu ih- rer Mythologie urſpruͤnglich geweſen? Jch beſehe ſie in den Reiſebeſchreibungen, ich ziehe in der alten Geſchichte ihren poetiſchen Schmuck aus, was ſind ſie? — Himmel! das habe ich alles in meinem Lande, in mei- ner Geſchichte, rings um mich liegt der Stoff zu dieſem poetiſchen Gebaͤude; aber eins fehlt: poetiſcher Geiſt. Bewundern muͤſſen wir euch, ihr Alten, und die Augen niederſchla- gen: ihr erhobt Kleinigkeiten aus dem Stau- be, zu einer glaͤnzenden Hoͤhe; wir laſſen die ganze Schoͤpfung um uns, oͤde und wuͤſt trau- ren, um euch nur zu pluͤndern, und das Ge- pluͤnderte elend anzuwenden. Wenn Horaz ſich einen Auguſtus unſrer Zeit waͤhlte: wuͤrde er wohl unter den Truͤm- mern alter mythologiſchen Geſchichte ſich ver- irren, oder iſts wahrſcheinlicher, er wuͤrde auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/162
Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/162>, abgerufen am 15.05.2024.