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Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767.

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"Nur heran, Missethäter! - - - Guten Tag!
"Warum hast du nicht den 14. Abschnitt aus
"meinem Herrn Collegen Longin herausge-
"schnitten, und auf das Pult, wo du ordinair
"deine Muse sizzen hattest, angenagelt, um
"jederzeit die großen Muster des Alterthums
"vor dir zu haben? Warum die alte Mytho-
"logie verrückt? Wohlan! höre deinen Na-
"men griechisch von der skutale lesen:
". . rd . . proteros exithi! denn du hast
"einen verkehrten Geschmack einführen wol-
"len."

Dies jüngste Gericht ging mir lange durch
die Seele: ich entschloß mich in der Angst,
nicht blos den 14ten Abschnitt aus dem Lon-
gin,
sondern die ganze Mythologie, damit
kein Punkt in ihr verrückt werde, fest anzu-
schlagen, an das Pult, wo ordinair meine

Muse
Worten etwas von der übelanstehenden Leb-
haftigkeit zu zeigen, mit der einige von den letz-
ten Recensionen der Litt. Br. sich wegwerfen.
Vielleicht wäre es zur Ehre des Werks gewe-
sen, wenn nach dem 17. Theile der 24. gefolgt,
oder einige Br. (z. E. 288. 91. 92. 95. 216. u. a.)
weggeblieben, oder diese Theile durchgängig
nahrhafter gemacht wären.
L 2

„Nur heran, Miſſethaͤter! ‒ ‒ ‒ Guten Tag!
„Warum haſt du nicht den 14. Abſchnitt aus
„meinem Herrn Collegen Longin herausge-
„ſchnitten, und auf das Pult, wo du ordinair
„deine Muſe ſizzen hatteſt, angenagelt, um
„jederzeit die großen Muſter des Alterthums
„vor dir zu haben? Warum die alte Mytho-
„logie verruͤckt? Wohlan! hoͤre deinen Na-
„men griechiſch von der σκυταλη leſen:
„. . ρδ . . προτερος εξιϑι! denn du haſt
„einen verkehrten Geſchmack einfuͤhren wol-
„len.„

Dies juͤngſte Gericht ging mir lange durch
die Seele: ich entſchloß mich in der Angſt,
nicht blos den 14ten Abſchnitt aus dem Lon-
gin,
ſondern die ganze Mythologie, damit
kein Punkt in ihr verruͤckt werde, feſt anzu-
ſchlagen, an das Pult, wo ordinair meine

Muſe
Worten etwas von der uͤbelanſtehenden Leb-
haftigkeit zu zeigen, mit der einige von den letz-
ten Recenſionen der Litt. Br. ſich wegwerfen.
Vielleicht waͤre es zur Ehre des Werks gewe-
ſen, wenn nach dem 17. Theile der 24. gefolgt,
oder einige Br. (z. E. 288. 91. 92. 95. 216. u. a.)
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L 2
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[163/0171] „Nur heran, Miſſethaͤter! ‒ ‒ ‒ Guten Tag! „Warum haſt du nicht den 14. Abſchnitt aus „meinem Herrn Collegen Longin herausge- „ſchnitten, und auf das Pult, wo du ordinair „deine Muſe ſizzen hatteſt, angenagelt, um „jederzeit die großen Muſter des Alterthums „vor dir zu haben? Warum die alte Mytho- „logie verruͤckt? Wohlan! hoͤre deinen Na- „men griechiſch von der σκυταλη leſen: „. . ρδ . . προτερος εξιϑι! denn du haſt „einen verkehrten Geſchmack einfuͤhren wol- „len.„ Dies juͤngſte Gericht ging mir lange durch die Seele: ich entſchloß mich in der Angſt, nicht blos den 14ten Abſchnitt aus dem Lon- gin, ſondern die ganze Mythologie, damit kein Punkt in ihr verruͤckt werde, feſt anzu- ſchlagen, an das Pult, wo ordinair meine Muſe ** ** Worten etwas von der uͤbelanſtehenden Leb- haftigkeit zu zeigen, mit der einige von den letz- ten Recenſionen der Litt. Br. ſich wegwerfen. Vielleicht waͤre es zur Ehre des Werks gewe- ſen, wenn nach dem 17. Theile der 24. gefolgt, oder einige Br. (z. E. 288. 91. 92. 95. 216. u. a.) weggeblieben, oder dieſe Theile durchgaͤngig nahrhafter gemacht waͤren. L 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Ueber die neuere Deutsche Litteratur. Bd. 3. Riga, 1767, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_litteratur03_1767/171>, abgerufen am 15.05.2024.