Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

Bild:
<< vorherige Seite



aufhebet! -- im Todesschweiße aber mit Opium
träumen: warum den Kranken stören, ohne
daß man ihm hilft.



Also vielmehr, was dem Kranken auch mehr
gefallen wird. Wir sind bey dieser Fortrü-
ckung freylich auch auf unsrer Stelle, Zweck
und Werkzeug des Schicksals.

Gemeiniglich ist der Philosoph alsdenn am
meisten Thier, wenn er am zuverläßigsten Gott
seyn wollte: so auch bey der zuversichtlichen
Berechnung von Vervollkommung der Welt.
Daß doch ja alles hübsch in gerader Linie gien-
ge, und jeder folgende Mensch und jedes fol-
gende Geschlecht
in schöner Progreßion, zu
der er allein den Exponenten von Tugend und
Glückseligkeit zu geben wuste, nach seinem Jdeal
vervollkommet würde! da trofs nun immer
auf ihn zuhinterst: er das lezte, höchste Glied,
bey dem sich alles endigt. "Sehet zu solcher
"Aufklärung, Tugend, Glückseligkeit ist die Welt
"gestiegen! ich, hoch auf dem Schwengel! das
"goldne Zünglein der Weltwaage: sehet
"mich!"

Und



aufhebet! — im Todesſchweiße aber mit Opium
traͤumen: warum den Kranken ſtoͤren, ohne
daß man ihm hilft.



Alſo vielmehr, was dem Kranken auch mehr
gefallen wird. Wir ſind bey dieſer Fortruͤ-
ckung freylich auch auf unſrer Stelle, Zweck
und Werkzeug des Schickſals.

Gemeiniglich iſt der Philoſoph alsdenn am
meiſten Thier, wenn er am zuverlaͤßigſten Gott
ſeyn wollte: ſo auch bey der zuverſichtlichen
Berechnung von Vervollkommung der Welt.
Daß doch ja alles huͤbſch in gerader Linie gien-
ge, und jeder folgende Menſch und jedes fol-
gende Geſchlecht
in ſchoͤner Progreßion, zu
der er allein den Exponenten von Tugend und
Gluͤckſeligkeit zu geben wuſte, nach ſeinem Jdeal
vervollkommet wuͤrde! da trofs nun immer
auf ihn zuhinterſt: er das lezte, hoͤchſte Glied,
bey dem ſich alles endigt. „Sehet zu ſolcher
„Aufklaͤrung, Tugend, Gluͤckſeligkeit iſt die Welt
„geſtiegen! ich, hoch auf dem Schwengel! das
goldne Zuͤnglein der Weltwaage: ſehet
„mich!„

Und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0143" n="139"/><fw place="top" type="header"><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/></fw> aufhebet! &#x2014; im Todes&#x017F;chweiße aber mit Opium<lb/>
tra&#x0364;umen: warum den Kranken &#x017F;to&#x0364;ren, ohne<lb/>
daß man ihm hilft.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>Al&#x017F;o vielmehr, was dem Kranken auch mehr<lb/>
gefallen wird. Wir &#x017F;ind bey <hi rendition="#b">die&#x017F;er Fortru&#x0364;-<lb/>
ckung freylich auch auf un&#x017F;rer Stelle, Zweck<lb/>
und Werkzeug des Schick&#x017F;als.</hi></p><lb/>
            <p>Gemeiniglich i&#x017F;t der Philo&#x017F;oph alsdenn am<lb/>
mei&#x017F;ten <hi rendition="#b">Thier,</hi> wenn er am zuverla&#x0364;ßig&#x017F;ten <hi rendition="#b">Gott</hi><lb/>
&#x017F;eyn wollte: &#x017F;o auch bey der zuver&#x017F;ichtlichen<lb/>
Berechnung von <hi rendition="#b">Vervollkommung</hi> der Welt.<lb/>
Daß doch ja alles hu&#x0364;b&#x017F;ch <hi rendition="#b">in gerader Linie</hi> gien-<lb/>
ge, und jeder <hi rendition="#b">folgende Men&#x017F;ch</hi> und <hi rendition="#b">jedes fol-<lb/>
gende Ge&#x017F;chlecht</hi> in <hi rendition="#b">&#x017F;cho&#x0364;ner Progreßion,</hi> zu<lb/>
der er allein den <hi rendition="#b">Exponenten</hi> von Tugend und<lb/>
Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit zu geben wu&#x017F;te, nach <hi rendition="#b">&#x017F;einem</hi> Jdeal<lb/><hi rendition="#b">vervollkommet</hi> wu&#x0364;rde! da trofs nun immer<lb/>
auf ihn <hi rendition="#b">zuhinter&#x017F;t:</hi> er das lezte, ho&#x0364;ch&#x017F;te Glied,<lb/>
bey dem &#x017F;ich alles <hi rendition="#b">endigt.</hi> &#x201E;Sehet zu &#x017F;olcher<lb/>
&#x201E;Aufkla&#x0364;rung, Tugend, Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit i&#x017F;t die Welt<lb/>
&#x201E;ge&#x017F;tiegen! <hi rendition="#b">ich,</hi> hoch auf dem Schwengel! das<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#b">goldne Zu&#x0364;nglein</hi> der Weltwaage: &#x017F;ehet<lb/>
&#x201E;mich!&#x201E;</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Und</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0143] aufhebet! — im Todesſchweiße aber mit Opium traͤumen: warum den Kranken ſtoͤren, ohne daß man ihm hilft. Alſo vielmehr, was dem Kranken auch mehr gefallen wird. Wir ſind bey dieſer Fortruͤ- ckung freylich auch auf unſrer Stelle, Zweck und Werkzeug des Schickſals. Gemeiniglich iſt der Philoſoph alsdenn am meiſten Thier, wenn er am zuverlaͤßigſten Gott ſeyn wollte: ſo auch bey der zuverſichtlichen Berechnung von Vervollkommung der Welt. Daß doch ja alles huͤbſch in gerader Linie gien- ge, und jeder folgende Menſch und jedes fol- gende Geſchlecht in ſchoͤner Progreßion, zu der er allein den Exponenten von Tugend und Gluͤckſeligkeit zu geben wuſte, nach ſeinem Jdeal vervollkommet wuͤrde! da trofs nun immer auf ihn zuhinterſt: er das lezte, hoͤchſte Glied, bey dem ſich alles endigt. „Sehet zu ſolcher „Aufklaͤrung, Tugend, Gluͤckſeligkeit iſt die Welt „geſtiegen! ich, hoch auf dem Schwengel! das „goldne Zuͤnglein der Weltwaage: ſehet „mich!„ Und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/143
Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/143>, abgerufen am 07.05.2024.