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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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Farbe, an dessen beiden anderen Ecken das ideale Weiß einer-
seits, das ideale Schwarz anderseits liegt, so lassen sich auf der
Fläche dieses Dreiecks alle überhaupt denkbaren Nuancen der
gewählten Farbe, z. B. des Grün in stetigen Übergängen unter-
gebracht denken. Auf jeder der schwarzweißen Seite parallelen
Geraden, die ich in das Dreieck lege, kann ich alle Nuancen
von gleich großer Reinheit oder Unreinheit untergebracht denken,
auf jeder zur grünschwarzen Seite parallelen Linie alle Nuancen
von gleicher Weißlichkeit, auf jeder zur grünweißen Seite paral-
lelen Linie alle Nuancen von gleicher Schwärzlichkeit.

In jedem Punkte dieses Nuancirungsdreieckes ist dann die
Reinheit oder Sättigung der entsprechenden farbigen Empfindung
dem Abstande von der schwarzweißen Seite, die Weißlichkeit
dem Abstande von der grünschwarzen Seite, die Schwärzlichkeit
dem Abstande von der grünweißen Seite proportional.

So viele Farbentöne, so viele Nuancirungsdreiecke sind
möglich.

Mit den möglichst reinen Farben des Farbenkreises und
den Übergängen jeder einzelnen Farbe zu jedem beliebigen Gliede
der schwarzweißen Reihe, also mit den Farbentönen und
allen ihren Nuancen sind, praktisch genommen, alle
überhaupt vorkommenden farbigen Empfindungen er-
schöpft.

Denn möge sich nun eine Farbenempfindung ändern wie
sie wolle, so kann sie nur entweder ihren Ton oder ihre Rein-
heit ändern, und letzteren Falls kann sie nur entweder mehr oder
minder schwärzlich oder weißlich oder graulich werden.

Ich sagte, daß mit den Farbentönen und ihren Nuancen alle farbigen
Empfindungen praktisch genommen erschöpft sind; theoretisch genommen
sind sie es nicht, weil, wie schon gesagt wurde, a priori nicht einzusehen
ist, warum es nicht auch Empfindungen geben soll, in denen zwei Gegen-
farben zugleich enthalten sind, obwohl uns in Wirklichkeit kein solcher
Fall sicher bekannt ist. Man muß bedenken, daß wir in einem Empfin-
dungsgemische -- und jede wirklich vorkommende Gesichtsempfindung ist
ein solches -- immer nur die besonders hervorstechenden einfachen Empfin-
dungen auch besonders bemerken, daß aber mancherlei darin enthalten sein
kann, was deutlich zu unterscheiden uns nicht möglich ist, obwohl es doch
zum Gesammtcharakter des Empfindungsgemisches, d. h. zu dessen Qualität
einen gewissen Beitrag liefern kann. So scheint es mir von vornherein
fraglich, ob im sogenannten reinen, d. h. farblosen Grau wirklich nur Weiß

Farbe, an dessen beiden anderen Ecken das ideale Weiß einer-
seits, das ideale Schwarz anderseits liegt, so lassen sich auf der
Fläche dieses Dreiecks alle überhaupt denkbaren Nuancen der
gewählten Farbe, z. B. des Grün in stetigen Übergängen unter-
gebracht denken. Auf jeder der schwarzweißen Seite parallelen
Geraden, die ich in das Dreieck lege, kann ich alle Nuancen
von gleich großer Reinheit oder Unreinheit untergebracht denken,
auf jeder zur grünschwarzen Seite parallelen Linie alle Nuancen
von gleicher Weißlichkeit, auf jeder zur grünweißen Seite paral-
lelen Linie alle Nuancen von gleicher Schwärzlichkeit.

In jedem Punkte dieses Nuancirungsdreieckes ist dann die
Reinheit oder Sättigung der entsprechenden farbigen Empfindung
dem Abstande von der schwarzweißen Seite, die Weißlichkeit
dem Abstande von der grünschwarzen Seite, die Schwärzlichkeit
dem Abstande von der grünweißen Seite proportional.

So viele Farbentöne, so viele Nuancirungsdreiecke sind
möglich.

Mit den möglichst reinen Farben des Farbenkreises und
den Übergängen jeder einzelnen Farbe zu jedem beliebigen Gliede
der schwarzweißen Reihe, also mit den Farbentönen und
allen ihren Nuancen sind, praktisch genommen, alle
überhaupt vorkommenden farbigen Empfindungen er-
schöpft.

Denn möge sich nun eine Farbenempfindung ändern wie
sie wolle, so kann sie nur entweder ihren Ton oder ihre Rein-
heit ändern, und letzteren Falls kann sie nur entweder mehr oder
minder schwärzlich oder weißlich oder graulich werden.

Ich sagte, daß mit den Farbentönen und ihren Nuancen alle farbigen
Empfindungen praktisch genommen erschöpft sind; theoretisch genommen
sind sie es nicht, weil, wie schon gesagt wurde, a priori nicht einzusehen
ist, warum es nicht auch Empfindungen geben soll, in denen zwei Gegen-
farben zugleich enthalten sind, obwohl uns in Wirklichkeit kein solcher
Fall sicher bekannt ist. Man muß bedenken, daß wir in einem Empfin-
dungsgemische — und jede wirklich vorkommende Gesichtsempfindung ist
ein solches — immer nur die besonders hervorstechenden einfachen Empfin-
dungen auch besonders bemerken, daß aber mancherlei darin enthalten sein
kann, was deutlich zu unterscheiden uns nicht möglich ist, obwohl es doch
zum Gesammtcharakter des Empfindungsgemisches, d. h. zu dessen Qualität
einen gewissen Beitrag liefern kann. So scheint es mir von vornherein
fraglich, ob im sogenannten reinen, d. h. farblosen Grau wirklich nur Weiß

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[112/0120] Farbe, an dessen beiden anderen Ecken das ideale Weiß einer- seits, das ideale Schwarz anderseits liegt, so lassen sich auf der Fläche dieses Dreiecks alle überhaupt denkbaren Nuancen der gewählten Farbe, z. B. des Grün in stetigen Übergängen unter- gebracht denken. Auf jeder der schwarzweißen Seite parallelen Geraden, die ich in das Dreieck lege, kann ich alle Nuancen von gleich großer Reinheit oder Unreinheit untergebracht denken, auf jeder zur grünschwarzen Seite parallelen Linie alle Nuancen von gleicher Weißlichkeit, auf jeder zur grünweißen Seite paral- lelen Linie alle Nuancen von gleicher Schwärzlichkeit. In jedem Punkte dieses Nuancirungsdreieckes ist dann die Reinheit oder Sättigung der entsprechenden farbigen Empfindung dem Abstande von der schwarzweißen Seite, die Weißlichkeit dem Abstande von der grünschwarzen Seite, die Schwärzlichkeit dem Abstande von der grünweißen Seite proportional. So viele Farbentöne, so viele Nuancirungsdreiecke sind möglich. Mit den möglichst reinen Farben des Farbenkreises und den Übergängen jeder einzelnen Farbe zu jedem beliebigen Gliede der schwarzweißen Reihe, also mit den Farbentönen und allen ihren Nuancen sind, praktisch genommen, alle überhaupt vorkommenden farbigen Empfindungen er- schöpft. Denn möge sich nun eine Farbenempfindung ändern wie sie wolle, so kann sie nur entweder ihren Ton oder ihre Rein- heit ändern, und letzteren Falls kann sie nur entweder mehr oder minder schwärzlich oder weißlich oder graulich werden. Ich sagte, daß mit den Farbentönen und ihren Nuancen alle farbigen Empfindungen praktisch genommen erschöpft sind; theoretisch genommen sind sie es nicht, weil, wie schon gesagt wurde, a priori nicht einzusehen ist, warum es nicht auch Empfindungen geben soll, in denen zwei Gegen- farben zugleich enthalten sind, obwohl uns in Wirklichkeit kein solcher Fall sicher bekannt ist. Man muß bedenken, daß wir in einem Empfin- dungsgemische — und jede wirklich vorkommende Gesichtsempfindung ist ein solches — immer nur die besonders hervorstechenden einfachen Empfin- dungen auch besonders bemerken, daß aber mancherlei darin enthalten sein kann, was deutlich zu unterscheiden uns nicht möglich ist, obwohl es doch zum Gesammtcharakter des Empfindungsgemisches, d. h. zu dessen Qualität einen gewissen Beitrag liefern kann. So scheint es mir von vornherein fraglich, ob im sogenannten reinen, d. h. farblosen Grau wirklich nur Weiß

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/120>, abgerufen am 30.04.2024.