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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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ein, wenn die farbigen Sehsubstanzen des ganzen Sehorgans unter dem
Einflusse der herrschenden Beleuchtung eine so zu sagen künstliche Stim-
mung angenommen haben, wie dies sowohl bei natürlicher als künstlicher
Beleuchtung immer mehr oder minder der Fall ist. (Siehe §. 46 über die
Adaptation.)

Ist durch mäßige Einwirkung z. B. grünen Lichtes auf
einen Theil des Sehorgans die Stimmung dieses Theils verändert
worden, und blickt man nun auf eine blaue oder gelbe Fläche,
so mischt sich an der umgestimmten Stelle die Gegenfarbe des
Grün subjectiv bei, und das Gelb oder Blau erscheint röthlich.
Denn das von einem Pigmente zerstreute Licht ist gemischtes
Licht, und diesem gegenüber verhält sich der umgestimmte Theil
des Sehorgans analog wie gegenüber farblosem gemischtem Lichte.

Zur Erklärung der Thatsache, daß nach farbiger Reizung der ge-
reizte Theil für die Gegenfarbe erregbarer ist, als für die Reizfarbe, bietet
meine Theorie mehrere Wege. Obwohl ich nun auch hier der zukünftigen
eingehenden Untersuchung keineswegs vorgreifen will, so erscheint es mir
doch zweckmäßig, in ähnlicher Weise, wie ich dies in der vorigen Mitthei-
lung gethan habe, zu zeigen, wie sich die Erscheinungen des successiven
Contrastes leicht der Erklärung aus meiner Theorie unterwerfen lassen.
Denn ich bekomme dadurch Gelegenheit zu zeigen, einen wie tiefen Ein-
blick in alle Phasen des Stoffwechsels der Sehsubstanz wir erwarten dürfen,
wenn wir aus den Gesichtspunkten, welche die Theorie bietet, an die feinere
Untersuchung der Einzelerscheinung gehen.

Wird die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz durch solche
Strahlen gereizt, welche ihre Dissimilirung steigern, so wird während
der Dauer der entsprechenden Empfindung die rothgrüne Substanz abneh-
men, und folglich nach Schluß der Reizung die Erregbarkeit des gereizten
Theiles für diese Farbe vermindert sein. Hierüber kann kein Zweifel sein,
wenn die Vordersätze der Theorie richtig sind, und dies würde schon ge-
nügen, um die Art oder Richtung der Umstimmung des gereizten Theiles
zu erklären, wenn wir nur annehmen, daß die A-Erregbarkeit während der
Reizung unverändert bleibe. Wenn sich aber auch die A-Erregbarkeit unter
dem indirecten Einflusse des Reizes ändert, so bleiben zwei Möglichkeiten;
erstens die, daß sie ebenfalls abgenommen hat, aber viel weniger als die
D-Erregbarkeit, oder aber zweitens, daß sie sogar zugenommen hat. Dies
lasse ich hier dahingestellt sein, weil es nur untersucht werden kann,
wenn zugleich die Stärke und räumliche Ausbreitung des Reizes und der
Zustand der Umgebung der gereizten Stelle mit berücksichtigt wird.

Wird umgekehrt die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz
durch farbiges Licht gereizt, welches ihre Assimilirung steigert, so
wird dadurch die erregbare Substanz vermehrt und zugleich die D-Erreg-
barkeit gesteigert. Dies reicht hin, um zu erklären, warum nach Schluß
der Reizung die D-Erregbarkeit, also die Erregbarkeit für die Gegenfarbe
größer ist als die A-Erregbarkeit. Hätte sich zugleich in Folge des rascheren

ein, wenn die farbigen Sehsubstanzen des ganzen Sehorgans unter dem
Einflusse der herrschenden Beleuchtung eine so zu sagen künstliche Stim-
mung angenommen haben, wie dies sowohl bei natürlicher als künstlicher
Beleuchtung immer mehr oder minder der Fall ist. (Siehe §. 46 über die
Adaptation.)

Ist durch mäßige Einwirkung z. B. grünen Lichtes auf
einen Theil des Sehorgans die Stimmung dieses Theils verändert
worden, und blickt man nun auf eine blaue oder gelbe Fläche,
so mischt sich an der umgestimmten Stelle die Gegenfarbe des
Grün subjectiv bei, und das Gelb oder Blau erscheint röthlich.
Denn das von einem Pigmente zerstreute Licht ist gemischtes
Licht, und diesem gegenüber verhält sich der umgestimmte Theil
des Sehorgans analog wie gegenüber farblosem gemischtem Lichte.

Zur Erklärung der Thatsache, daß nach farbiger Reizung der ge-
reizte Theil für die Gegenfarbe erregbarer ist, als für die Reizfarbe, bietet
meine Theorie mehrere Wege. Obwohl ich nun auch hier der zukünftigen
eingehenden Untersuchung keineswegs vorgreifen will, so erscheint es mir
doch zweckmäßig, in ähnlicher Weise, wie ich dies in der vorigen Mitthei-
lung gethan habe, zu zeigen, wie sich die Erscheinungen des successiven
Contrastes leicht der Erklärung aus meiner Theorie unterwerfen lassen.
Denn ich bekomme dadurch Gelegenheit zu zeigen, einen wie tiefen Ein-
blick in alle Phasen des Stoffwechsels der Sehsubstanz wir erwarten dürfen,
wenn wir aus den Gesichtspunkten, welche die Theorie bietet, an die feinere
Untersuchung der Einzelerscheinung gehen.

Wird die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz durch solche
Strahlen gereizt, welche ihre Dissimilirung steigern, so wird während
der Dauer der entsprechenden Empfindung die rothgrüne Substanz abneh-
men, und folglich nach Schluß der Reizung die Erregbarkeit des gereizten
Theiles für diese Farbe vermindert sein. Hierüber kann kein Zweifel sein,
wenn die Vordersätze der Theorie richtig sind, und dies würde schon ge-
nügen, um die Art oder Richtung der Umstimmung des gereizten Theiles
zu erklären, wenn wir nur annehmen, daß die A-Erregbarkeit während der
Reizung unverändert bleibe. Wenn sich aber auch die A-Erregbarkeit unter
dem indirecten Einflusse des Reizes ändert, so bleiben zwei Möglichkeiten;
erstens die, daß sie ebenfalls abgenommen hat, aber viel weniger als die
D-Erregbarkeit, oder aber zweitens, daß sie sogar zugenommen hat. Dies
lasse ich hier dahingestellt sein, weil es nur untersucht werden kann,
wenn zugleich die Stärke und räumliche Ausbreitung des Reizes und der
Zustand der Umgebung der gereizten Stelle mit berücksichtigt wird.

Wird umgekehrt die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz
durch farbiges Licht gereizt, welches ihre Assimilirung steigert, so
wird dadurch die erregbare Substanz vermehrt und zugleich die D-Erreg-
barkeit gesteigert. Dies reicht hin, um zu erklären, warum nach Schluß
der Reizung die D-Erregbarkeit, also die Erregbarkeit für die Gegenfarbe
größer ist als die A-Erregbarkeit. Hätte sich zugleich in Folge des rascheren

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[128/0136] ein, wenn die farbigen Sehsubstanzen des ganzen Sehorgans unter dem Einflusse der herrschenden Beleuchtung eine so zu sagen künstliche Stim- mung angenommen haben, wie dies sowohl bei natürlicher als künstlicher Beleuchtung immer mehr oder minder der Fall ist. (Siehe §. 46 über die Adaptation.) Ist durch mäßige Einwirkung z. B. grünen Lichtes auf einen Theil des Sehorgans die Stimmung dieses Theils verändert worden, und blickt man nun auf eine blaue oder gelbe Fläche, so mischt sich an der umgestimmten Stelle die Gegenfarbe des Grün subjectiv bei, und das Gelb oder Blau erscheint röthlich. Denn das von einem Pigmente zerstreute Licht ist gemischtes Licht, und diesem gegenüber verhält sich der umgestimmte Theil des Sehorgans analog wie gegenüber farblosem gemischtem Lichte. Zur Erklärung der Thatsache, daß nach farbiger Reizung der ge- reizte Theil für die Gegenfarbe erregbarer ist, als für die Reizfarbe, bietet meine Theorie mehrere Wege. Obwohl ich nun auch hier der zukünftigen eingehenden Untersuchung keineswegs vorgreifen will, so erscheint es mir doch zweckmäßig, in ähnlicher Weise, wie ich dies in der vorigen Mitthei- lung gethan habe, zu zeigen, wie sich die Erscheinungen des successiven Contrastes leicht der Erklärung aus meiner Theorie unterwerfen lassen. Denn ich bekomme dadurch Gelegenheit zu zeigen, einen wie tiefen Ein- blick in alle Phasen des Stoffwechsels der Sehsubstanz wir erwarten dürfen, wenn wir aus den Gesichtspunkten, welche die Theorie bietet, an die feinere Untersuchung der Einzelerscheinung gehen. Wird die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz durch solche Strahlen gereizt, welche ihre Dissimilirung steigern, so wird während der Dauer der entsprechenden Empfindung die rothgrüne Substanz abneh- men, und folglich nach Schluß der Reizung die Erregbarkeit des gereizten Theiles für diese Farbe vermindert sein. Hierüber kann kein Zweifel sein, wenn die Vordersätze der Theorie richtig sind, und dies würde schon ge- nügen, um die Art oder Richtung der Umstimmung des gereizten Theiles zu erklären, wenn wir nur annehmen, daß die A-Erregbarkeit während der Reizung unverändert bleibe. Wenn sich aber auch die A-Erregbarkeit unter dem indirecten Einflusse des Reizes ändert, so bleiben zwei Möglichkeiten; erstens die, daß sie ebenfalls abgenommen hat, aber viel weniger als die D-Erregbarkeit, oder aber zweitens, daß sie sogar zugenommen hat. Dies lasse ich hier dahingestellt sein, weil es nur untersucht werden kann, wenn zugleich die Stärke und räumliche Ausbreitung des Reizes und der Zustand der Umgebung der gereizten Stelle mit berücksichtigt wird. Wird umgekehrt die zuvor neutral gestimmte rothgrüne Substanz durch farbiges Licht gereizt, welches ihre Assimilirung steigert, so wird dadurch die erregbare Substanz vermehrt und zugleich die D-Erreg- barkeit gesteigert. Dies reicht hin, um zu erklären, warum nach Schluß der Reizung die D-Erregbarkeit, also die Erregbarkeit für die Gegenfarbe größer ist als die A-Erregbarkeit. Hätte sich zugleich in Folge des rascheren

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/136>, abgerufen am 03.05.2024.