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[Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841.

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Ob stumm sie ruht, ob leuchtend sie sich bricht,
Sie wird verklärt und er vergißt sie nicht;
So mag der Geist der Welt in unser Denken,
In jede Blüte, jede Brust sich senken.
Dem Mond streut still mit schmeichelnder Geberde
Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn
Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieser Erde,
Die welken müssen, ehe sie vergehn;
Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold, das herbstlich gelbe Land,
Und meine Seele sieht in süßer Ruh
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie sie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fliegendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich sich, von jeder Form befreit,
Gestaltlos mit dem Element versöhnen.
O Geist, der über diesen Wassern lebt,
Der hier aus diesen kühlen Gründen thaut,
Der aus der Tiefe Himmel wiederblaut,
Du Geist des Friedens, der mich jetzt umschwebt,
Der sich den Aether maßlos läßt entfalten,
Der Erde stillen Drang zum Lenz gestalten --
Ob ſtumm ſie ruht, ob leuchtend ſie ſich bricht,
Sie wird verklärt und er vergißt ſie nicht;
So mag der Geiſt der Welt in unſer Denken,
In jede Blüte, jede Bruſt ſich ſenken.
Dem Mond ſtreut ſtill mit ſchmeichelnder Geberde
Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn
Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieſer Erde,
Die welken müſſen, ehe ſie vergehn;
Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold, das herbſtlich gelbe Land,
Und meine Seele ſieht in ſüßer Ruh
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie ſie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fliegendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich ſich, von jeder Form befreit,
Geſtaltlos mit dem Element verſöhnen.
O Geiſt, der über dieſen Waſſern lebt,
Der hier aus dieſen kühlen Gründen thaut,
Der aus der Tiefe Himmel wiederblaut,
Du Geiſt des Friedens, der mich jetzt umſchwebt,
Der ſich den Aether maßlos läßt entfalten,
Der Erde ſtillen Drang zum Lenz geſtalten —
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[190/0196] Ob ſtumm ſie ruht, ob leuchtend ſie ſich bricht, Sie wird verklärt und er vergißt ſie nicht; So mag der Geiſt der Welt in unſer Denken, In jede Blüte, jede Bruſt ſich ſenken. Dem Mond ſtreut ſtill mit ſchmeichelnder Geberde Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieſer Erde, Die welken müſſen, ehe ſie vergehn; Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand Sein letztes Gold, das herbſtlich gelbe Land, Und meine Seele ſieht in ſüßer Ruh Der Perlen Träufeln von den Rudern zu, Wie ſie von Ringen hin zu Ringen tönen, Ein fliegendes Symbol der Ewigkeit, Und endlich ſich, von jeder Form befreit, Geſtaltlos mit dem Element verſöhnen. O Geiſt, der über dieſen Waſſern lebt, Der hier aus dieſen kühlen Gründen thaut, Der aus der Tiefe Himmel wiederblaut, Du Geiſt des Friedens, der mich jetzt umſchwebt, Der ſich den Aether maßlos läßt entfalten, Der Erde ſtillen Drang zum Lenz geſtalten —

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Zitationshilfe: [Herwegh, Georg]: Gedichte eines Lebendigen. Bd. 1. Zürich u. a., 1841, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herwegh_gedichte01_1841/196>, abgerufen am 07.05.2024.