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Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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auseinander, um die kothigen Stellen der Straße für die Vorübergehenden rein zu fegen und von ihnen kleine Almosen zu empfangen, die beinahe Jeder als einen hergebrachten Tribut zu entrichten scheint und welche das gnomenhafte Scheusal mit einem widerlich krächzenden: Lohn's euch Gott! in gräßlich possenhafter Demuth empfängt. Betty wird von einem unerklärlichen Entsetzen ergriffen. Die Obsthändlerin bemerkt es: Fürchtet nichts, gute Frau, sagt sie, das ist der graue John, der für seinen kleinen Dienst seinen Penny erwartet und längst ein Vermögen seit mehreren Jahren zusammengebettelt haben müßte, wenn er kein Pinsel wäre; denn bedenkt die Tausende, welche täglich dieses Weges gehen, und rechnet auf Zehn nur einen Wohlthätigen. Was frommt es aber dem Lump, welcher dessen ungeachtet nicht so viel nachlassen wird, um sein Leichentuch zu bezahlen. Betty hört diese Erläuterung nur halb, denn ein wachsendes Grauen scheucht sie hinweg, und sie eilt davon, als kläffe und rase die wilde Jagd hinter ihr, um sie zu verfolgen. Wehe indessen, sie muß an dem grauen John vorüber und kann ihm nicht ausweichen. Sie nähert sich ihm. Unwillkürlich heftet sie ihren Blick auf sein Antlitz. Auch er schlägt sein Auge zu ihr empor. Da scheint eine Zuckung elektrisch durch seine Glieder zu fahren und ihn aus der gebückten Stellung zur männlichen, kräftigen Höhe empor zu reißen. Trotz der Entstellung durch kunstreich gemalte Runzeln und ungewöhnliche Ne-

auseinander, um die kothigen Stellen der Straße für die Vorübergehenden rein zu fegen und von ihnen kleine Almosen zu empfangen, die beinahe Jeder als einen hergebrachten Tribut zu entrichten scheint und welche das gnomenhafte Scheusal mit einem widerlich krächzenden: Lohn's euch Gott! in gräßlich possenhafter Demuth empfängt. Betty wird von einem unerklärlichen Entsetzen ergriffen. Die Obsthändlerin bemerkt es: Fürchtet nichts, gute Frau, sagt sie, das ist der graue John, der für seinen kleinen Dienst seinen Penny erwartet und längst ein Vermögen seit mehreren Jahren zusammengebettelt haben müßte, wenn er kein Pinsel wäre; denn bedenkt die Tausende, welche täglich dieses Weges gehen, und rechnet auf Zehn nur einen Wohlthätigen. Was frommt es aber dem Lump, welcher dessen ungeachtet nicht so viel nachlassen wird, um sein Leichentuch zu bezahlen. Betty hört diese Erläuterung nur halb, denn ein wachsendes Grauen scheucht sie hinweg, und sie eilt davon, als kläffe und rase die wilde Jagd hinter ihr, um sie zu verfolgen. Wehe indessen, sie muß an dem grauen John vorüber und kann ihm nicht ausweichen. Sie nähert sich ihm. Unwillkürlich heftet sie ihren Blick auf sein Antlitz. Auch er schlägt sein Auge zu ihr empor. Da scheint eine Zuckung elektrisch durch seine Glieder zu fahren und ihn aus der gebückten Stellung zur männlichen, kräftigen Höhe empor zu reißen. Trotz der Entstellung durch kunstreich gemalte Runzeln und ungewöhnliche Ne-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T11:12:58Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Heyden, Friedrich von: Der graue John. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 13. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 177–231. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heyden_john_1910/54>, abgerufen am 03.05.2024.