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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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ihm noch bevorstehet. Bey meinem Vater
wie oben --

Welch eine Veränderung bey ihm! welch
eine bey mir! Meine Mutter blieb wie sie
war, ich fühlte mich die Minute besser, da
diese Worte ausgesprochen wurden. Es war
Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte
mich schon vorhero verlassen, nur ich nicht
die Krankheit. Ich getraut' es mir nicht
zu glauben, daß ich gesund wäre. Lieber
Herr Candidat, Sie hätten unter uns gesagt
den Seegen zuletzt lassen sollen wie es Sitte
in der Christenheit ist.

Warum soll ich's leugnen, daß mir jetzo
mein letzter Wille zusammt dem Codicill in
Absicht Minchens herzlich leid zu thun an-
fing, ich möchte wissen was die Ursache war?
ich wurde mal auf mal im Bette blutroth,
als wenn mir das Gewissen ins Gesicht sähe.
Um alles in der Welt willen hätt' ich das
Testamentum nuncupatiuum zurück gehabt.

So gerne meine Mutter es wissen mochte
wie das ganze Brief Mißverständnis entstan-
den wäre unterfing si'es doch nicht die Auf-
lösung in des Candidaten Gegenwart abzu-
fragen. Die verfluchten Briefe! überall wo

sie

ihm noch bevorſtehet. Bey meinem Vater
wie oben —

Welch eine Veraͤnderung bey ihm! welch
eine bey mir! Meine Mutter blieb wie ſie
war, ich fuͤhlte mich die Minute beſſer, da
dieſe Worte ausgeſprochen wurden. Es war
Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte
mich ſchon vorhero verlaſſen, nur ich nicht
die Krankheit. Ich getraut’ es mir nicht
zu glauben, daß ich geſund waͤre. Lieber
Herr Candidat, Sie haͤtten unter uns geſagt
den Seegen zuletzt laſſen ſollen wie es Sitte
in der Chriſtenheit iſt.

Warum ſoll ich’s leugnen, daß mir jetzo
mein letzter Wille zuſammt dem Codicill in
Abſicht Minchens herzlich leid zu thun an-
fing, ich moͤchte wiſſen was die Urſache war?
ich wurde mal auf mal im Bette blutroth,
als wenn mir das Gewiſſen ins Geſicht ſaͤhe.
Um alles in der Welt willen haͤtt’ ich das
Teſtamentum nuncupatiuum zuruͤck gehabt.

So gerne meine Mutter es wiſſen mochte
wie das ganze Brief Mißverſtaͤndnis entſtan-
den waͤre unterfing ſi’es doch nicht die Auf-
loͤſung in des Candidaten Gegenwart abzu-
fragen. Die verfluchten Briefe! uͤberall wo

ſie
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[157/0165] ihm noch bevorſtehet. Bey meinem Vater wie oben — Welch eine Veraͤnderung bey ihm! welch eine bey mir! Meine Mutter blieb wie ſie war, ich fuͤhlte mich die Minute beſſer, da dieſe Worte ausgeſprochen wurden. Es war Schlag auf Schlag. Die Krankheit hatte mich ſchon vorhero verlaſſen, nur ich nicht die Krankheit. Ich getraut’ es mir nicht zu glauben, daß ich geſund waͤre. Lieber Herr Candidat, Sie haͤtten unter uns geſagt den Seegen zuletzt laſſen ſollen wie es Sitte in der Chriſtenheit iſt. Warum ſoll ich’s leugnen, daß mir jetzo mein letzter Wille zuſammt dem Codicill in Abſicht Minchens herzlich leid zu thun an- fing, ich moͤchte wiſſen was die Urſache war? ich wurde mal auf mal im Bette blutroth, als wenn mir das Gewiſſen ins Geſicht ſaͤhe. Um alles in der Welt willen haͤtt’ ich das Teſtamentum nuncupatiuum zuruͤck gehabt. So gerne meine Mutter es wiſſen mochte wie das ganze Brief Mißverſtaͤndnis entſtan- den waͤre unterfing ſi’es doch nicht die Auf- loͤſung in des Candidaten Gegenwart abzu- fragen. Die verfluchten Briefe! uͤberall wo ſie

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/165>, abgerufen am 13.05.2024.