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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778.

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türkisch kann, und wenn es noch so viel Re-
ligionsverdienst wäre. Die Sprache ist eine
Herzensschlinge. Man ist bestrickt man weiß
nicht wie. Doch! warum soll ich alles wie-
dersagen, was mein Vater sagte? Seine
Behauptungen waren außer der Weise. Er
glaubte es müßte zu kennen seyn was bey
Licht oder am Tage, was des Morgens und
was des Abends gedacht wäre wenn's nem-
lich aufgeschrieben worden. Morgengedan-
ken waren bey ihm wie die Erstgeburt heilig.
Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver-
mögen in der Welt handeln solte führte mich
mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an,
und ich mußte beinahe alle diese Sprachen
zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat
und Gramatick. Zum Schulmäßigen ge-
wöhnte er mich allererst im vierzehnten Jahr,
und konnt ich's folglich als Proben ansehen,
die man in der Rechenkunst erfunden, um
zu sehen ob richtig gerechnet sey. Mein Va-
ter hielt viel auf wörtliche Uebersezungen in
Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte
er zu sagen lernt man eine Nation auf ein
Haar kennen und die feinste Politik und Welt-
kenntniß ist hier verborgen. Dies ist der
Chiffer zu den Geheimnissen der Völcker.

Auch

tuͤrkiſch kann, und wenn es noch ſo viel Re-
ligionsverdienſt waͤre. Die Sprache iſt eine
Herzensſchlinge. Man iſt beſtrickt man weiß
nicht wie. Doch! warum ſoll ich alles wie-
derſagen, was mein Vater ſagte? Seine
Behauptungen waren außer der Weiſe. Er
glaubte es muͤßte zu kennen ſeyn was bey
Licht oder am Tage, was des Morgens und
was des Abends gedacht waͤre wenn’s nem-
lich aufgeſchrieben worden. Morgengedan-
ken waren bey ihm wie die Erſtgeburt heilig.
Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver-
moͤgen in der Welt handeln ſolte fuͤhrte mich
mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an,
und ich mußte beinahe alle dieſe Sprachen
zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat
und Gramatick. Zum Schulmaͤßigen ge-
woͤhnte er mich allererſt im vierzehnten Jahr,
und konnt ich’s folglich als Proben anſehen,
die man in der Rechenkunſt erfunden, um
zu ſehen ob richtig gerechnet ſey. Mein Va-
ter hielt viel auf woͤrtliche Ueberſezungen in
Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte
er zu ſagen lernt man eine Nation auf ein
Haar kennen und die feinſte Politik und Welt-
kenntniß iſt hier verborgen. Dies iſt der
Chiffer zu den Geheimniſſen der Voͤlcker.

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[68/0076] tuͤrkiſch kann, und wenn es noch ſo viel Re- ligionsverdienſt waͤre. Die Sprache iſt eine Herzensſchlinge. Man iſt beſtrickt man weiß nicht wie. Doch! warum ſoll ich alles wie- derſagen, was mein Vater ſagte? Seine Behauptungen waren außer der Weiſe. Er glaubte es muͤßte zu kennen ſeyn was bey Licht oder am Tage, was des Morgens und was des Abends gedacht waͤre wenn’s nem- lich aufgeſchrieben worden. Morgengedan- ken waren bey ihm wie die Erſtgeburt heilig. Da ich mehr mit Credit als mit eigenem Ver- moͤgen in der Welt handeln ſolte fuͤhrte mich mein Vater fleißig zu fremden Sprachen an, und ich mußte beinahe alle dieſe Sprachen zu gleicher Zeit lernen. Alles ohne Donat und Gramatick. Zum Schulmaͤßigen ge- woͤhnte er mich allererſt im vierzehnten Jahr, und konnt ich’s folglich als Proben anſehen, die man in der Rechenkunſt erfunden, um zu ſehen ob richtig gerechnet ſey. Mein Va- ter hielt viel auf woͤrtliche Ueberſezungen in Sprachen, die noch leben. Hieraus pflegte er zu ſagen lernt man eine Nation auf ein Haar kennen und die feinſte Politik und Welt- kenntniß iſt hier verborgen. Dies iſt der Chiffer zu den Geheimniſſen der Voͤlcker. Auch

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe01_1778/76>, abgerufen am 14.05.2024.