Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

Bild:
<< vorherige Seite

glaubt' ich doch dieserhalb keine Pflicht zur
Verehrung auf mir zu haben. Die Feyer-
kleider waren ihm ohnedem nicht anver-
trauet worden. Von meiner Seite ge-
hörte die Nachsicht auf Minchens Rech-
nung. Ihretwegen that ich, was ich
that; indessen vergaß ich nicht, daß sie selbst
mich mit dem Herrn Herrmann, als Vater,
nicht beschweren wolte. Herr v. G. war
durch den Alten so gerührt, daß er nicht ins
Leben zurückkehren konnte; er sahe schon jetzt
immer gen Himmel, obgleich noch nicht die
acht Tag' um waren, wo der Alte ein Zeug-
niß in perpetuam rei memoriam für ihn im
Himmel einzulegen versprochen. Die Vigi-
lien
des Herrn von W. kamen dem Herrn
v. G. so zur rechten Zeit, daß er mit festlich
ward. Die Frau v. W., und ihre kleine
Tochter, unterhielten sich von dem armen
bedrängten Sterbenden, den mein Vater
trösten solte. Frau v. G. selbst hatte sich zu
diesem Vorfall, obgleich der Sterbende nicht
von Adel -- nicht einst ein Litteratus, mit-
hin nach Landesart ein Bauer war, hoch-
adlich herunter zu lassen geruhet, und so war
unsere Gesellschaft des alten Mannes, der
in acht Tagen sterben wird, und des unschuldi-

gen
A 4

glaubt’ ich doch dieſerhalb keine Pflicht zur
Verehrung auf mir zu haben. Die Feyer-
kleider waren ihm ohnedem nicht anver-
trauet worden. Von meiner Seite ge-
hoͤrte die Nachſicht auf Minchens Rech-
nung. Ihretwegen that ich, was ich
that; indeſſen vergaß ich nicht, daß ſie ſelbſt
mich mit dem Herrn Herrmann, als Vater,
nicht beſchweren wolte. Herr v. G. war
durch den Alten ſo geruͤhrt, daß er nicht ins
Leben zuruͤckkehren konnte; er ſahe ſchon jetzt
immer gen Himmel, obgleich noch nicht die
acht Tag’ um waren, wo der Alte ein Zeug-
niß in perpetuam rei memoriam fuͤr ihn im
Himmel einzulegen verſprochen. Die Vigi-
lien
des Herrn von W. kamen dem Herrn
v. G. ſo zur rechten Zeit, daß er mit feſtlich
ward. Die Frau v. W., und ihre kleine
Tochter, unterhielten ſich von dem armen
bedraͤngten Sterbenden, den mein Vater
troͤſten ſolte. Frau v. G. ſelbſt hatte ſich zu
dieſem Vorfall, obgleich der Sterbende nicht
von Adel — nicht einſt ein Litteratus, mit-
hin nach Landesart ein Bauer war, hoch-
adlich herunter zu laſſen geruhet, und ſo war
unſere Geſellſchaft des alten Mannes, der
in acht Tagen ſterben wird, und des unſchuldi-

gen
A 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="9"/>
glaubt&#x2019; ich doch die&#x017F;erhalb keine Pflicht zur<lb/>
Verehrung auf mir zu haben. Die Feyer-<lb/>
kleider waren ihm ohnedem nicht anver-<lb/>
trauet worden. Von meiner Seite ge-<lb/>
ho&#x0364;rte die Nach&#x017F;icht auf Minchens Rech-<lb/>
nung. Ihretwegen that ich, was ich<lb/>
that; inde&#x017F;&#x017F;en vergaß ich nicht, daß &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
mich mit dem Herrn Herrmann, <hi rendition="#fr">als Vater</hi>,<lb/>
nicht <hi rendition="#fr">be&#x017F;chweren wolte</hi>. Herr v. G. war<lb/>
durch den Alten &#x017F;o geru&#x0364;hrt, daß er nicht ins<lb/>
Leben zuru&#x0364;ckkehren konnte; er &#x017F;ahe &#x017F;chon jetzt<lb/>
immer gen Himmel, obgleich noch nicht die<lb/>
acht Tag&#x2019; um waren, wo der Alte ein Zeug-<lb/>
niß <hi rendition="#aq">in perpetuam rei memoriam</hi> fu&#x0364;r ihn im<lb/>
Himmel einzulegen ver&#x017F;prochen. Die <hi rendition="#fr">Vigi-<lb/>
lien</hi> des Herrn <hi rendition="#fr">von W.</hi> kamen dem Herrn<lb/>
v. G. &#x017F;o zur rechten Zeit, daß er mit fe&#x017F;tlich<lb/>
ward. Die Frau v. W., und ihre kleine<lb/>
Tochter, unterhielten &#x017F;ich von dem armen<lb/>
bedra&#x0364;ngten Sterbenden, den mein Vater<lb/>
tro&#x0364;&#x017F;ten &#x017F;olte. Frau v. G. &#x017F;elb&#x017F;t hatte &#x017F;ich zu<lb/>
die&#x017F;em Vorfall, obgleich der Sterbende nicht<lb/>
von Adel &#x2014; nicht ein&#x017F;t ein Litteratus, mit-<lb/>
hin nach Landesart ein Bauer war, hoch-<lb/>
adlich herunter zu la&#x017F;&#x017F;en geruhet, und &#x017F;o war<lb/>
un&#x017F;ere <hi rendition="#fr">Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft</hi> des alten Mannes, der<lb/>
in acht Tagen &#x017F;terben wird, und des un&#x017F;chuldi-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0015] glaubt’ ich doch dieſerhalb keine Pflicht zur Verehrung auf mir zu haben. Die Feyer- kleider waren ihm ohnedem nicht anver- trauet worden. Von meiner Seite ge- hoͤrte die Nachſicht auf Minchens Rech- nung. Ihretwegen that ich, was ich that; indeſſen vergaß ich nicht, daß ſie ſelbſt mich mit dem Herrn Herrmann, als Vater, nicht beſchweren wolte. Herr v. G. war durch den Alten ſo geruͤhrt, daß er nicht ins Leben zuruͤckkehren konnte; er ſahe ſchon jetzt immer gen Himmel, obgleich noch nicht die acht Tag’ um waren, wo der Alte ein Zeug- niß in perpetuam rei memoriam fuͤr ihn im Himmel einzulegen verſprochen. Die Vigi- lien des Herrn von W. kamen dem Herrn v. G. ſo zur rechten Zeit, daß er mit feſtlich ward. Die Frau v. W., und ihre kleine Tochter, unterhielten ſich von dem armen bedraͤngten Sterbenden, den mein Vater troͤſten ſolte. Frau v. G. ſelbſt hatte ſich zu dieſem Vorfall, obgleich der Sterbende nicht von Adel — nicht einſt ein Litteratus, mit- hin nach Landesart ein Bauer war, hoch- adlich herunter zu laſſen geruhet, und ſo war unſere Geſellſchaft des alten Mannes, der in acht Tagen ſterben wird, und des unſchuldi- gen A 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/15
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/15>, abgerufen am 14.10.2024.