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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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vergißt, daß das Jahr vier Jahreszeiten,
und daß jeder Tag vier Tagezeiten habe.
Man lese vier Bücher auf einmal, und man
wird finden, daß dies dem Gemüthe Erho-
lung sey! Ein einzig Buch lesen heißt im
Seelenverstande: den Pflug führen, oder
dreschen. -- Neue Beschäftigung ist wahr-
lich Erholung. Warum ist die Gesellschaft
Erholung? Weil ein kluger Mann hier mehr,
als ein Buch, lieset. Der hat es weit
gebracht, der Menschen lesen kann! --

(Gott weiß! dies ist ein großes Stu-
dium. Die schönste Gegend, was ist sie ge-
gen einen Menschen? Und wer die Gesell-
schaft aus diesem Gesichtspunkt nimmt,
kann gelehrt werden, ohn' ein gedrucktes
Buch, das ohnehin selten Leben hat.)

Es giebt einen gewissen Lesegeiz, alles,
was man lieset, in seinen Nutzen zu verwen-
den. -- Einen Lesevielfraß, alles zu ver-
schlingen, -- und da ereignen sich oft Kopf-
drücken und Verschleimungen. Sich in ei-
nem Buche betrinken heißt: drüber sehen
und hören vergeßen, und es so vorzüglich
finden, daß nichts drüber ist. -- Wenig
und gut lesen, ist großen Köpfen eigen. Es
ist schwerer, so schreiben, als so reden, daß

es
Q 2

vergißt, daß das Jahr vier Jahreszeiten,
und daß jeder Tag vier Tagezeiten habe.
Man leſe vier Buͤcher auf einmal, und man
wird finden, daß dies dem Gemuͤthe Erho-
lung ſey! Ein einzig Buch leſen heißt im
Seelenverſtande: den Pflug fuͤhren, oder
dreſchen. — Neue Beſchaͤftigung iſt wahr-
lich Erholung. Warum iſt die Geſellſchaft
Erholung? Weil ein kluger Mann hier mehr,
als ein Buch, lieſet. Der hat es weit
gebracht, der Menſchen leſen kann! —

(Gott weiß! dies iſt ein großes Stu-
dium. Die ſchoͤnſte Gegend, was iſt ſie ge-
gen einen Menſchen? Und wer die Geſell-
ſchaft aus dieſem Geſichtspunkt nimmt,
kann gelehrt werden, ohn’ ein gedrucktes
Buch, das ohnehin ſelten Leben hat.)

Es giebt einen gewiſſen Leſegeiz, alles,
was man lieſet, in ſeinen Nutzen zu verwen-
den. — Einen Leſevielfraß, alles zu ver-
ſchlingen, — und da ereignen ſich oft Kopf-
druͤcken und Verſchleimungen. Sich in ei-
nem Buche betrinken heißt: druͤber ſehen
und hoͤren vergeßen, und es ſo vorzuͤglich
finden, daß nichts druͤber iſt. — Wenig
und gut leſen, iſt großen Koͤpfen eigen. Es
iſt ſchwerer, ſo ſchreiben, als ſo reden, daß

es
Q 2
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[243/0251] vergißt, daß das Jahr vier Jahreszeiten, und daß jeder Tag vier Tagezeiten habe. Man leſe vier Buͤcher auf einmal, und man wird finden, daß dies dem Gemuͤthe Erho- lung ſey! Ein einzig Buch leſen heißt im Seelenverſtande: den Pflug fuͤhren, oder dreſchen. — Neue Beſchaͤftigung iſt wahr- lich Erholung. Warum iſt die Geſellſchaft Erholung? Weil ein kluger Mann hier mehr, als ein Buch, lieſet. Der hat es weit gebracht, der Menſchen leſen kann! — (Gott weiß! dies iſt ein großes Stu- dium. Die ſchoͤnſte Gegend, was iſt ſie ge- gen einen Menſchen? Und wer die Geſell- ſchaft aus dieſem Geſichtspunkt nimmt, kann gelehrt werden, ohn’ ein gedrucktes Buch, das ohnehin ſelten Leben hat.) Es giebt einen gewiſſen Leſegeiz, alles, was man lieſet, in ſeinen Nutzen zu verwen- den. — Einen Leſevielfraß, alles zu ver- ſchlingen, — und da ereignen ſich oft Kopf- druͤcken und Verſchleimungen. Sich in ei- nem Buche betrinken heißt: druͤber ſehen und hoͤren vergeßen, und es ſo vorzuͤglich finden, daß nichts druͤber iſt. — Wenig und gut leſen, iſt großen Koͤpfen eigen. Es iſt ſchwerer, ſo ſchreiben, als ſo reden, daß es Q 2

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/251>, abgerufen am 07.05.2024.