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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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setzte mir die Einbildungskraft alles. Ich las
Minens Briefe, beschäftigte mich mit den
von ihr eingeweihten Sachen, und kam mir
wie ein Wittwer vor, der seine Frau in sei-
nen von ihr zurückgelassenen Kindern sucht.
Seine schönste Zeit ist, wenn er mit ihnen
spielen kann. -- Meine Spaziergänge waren
Kirchhöfe, Wäldchens, und überhaupt Oer-
ter, die mich desto deutlicher an Minen erin-
nern konnten. Sie sah ich überall. Ich stu-
diert' an ihrer Hand. -- Sie beseelte mich
mit Muth, und war mir sans comparaison
das, was jedem Ritter seine Schöne ist. --

Mein lieber v. G. blieb keinem Professor
einen Dreyer schuldig, das ist alles, was ihm
zum Ruhm im Testimonio behauptet werden
können, wenn er ein dergleichen Ding nöthig
gehabt hätte. Ich studirt' in seine Seele, als
sein Sachwalter, und erzählt' ihm des Abends
im Zeitungston, was ich den Tag über in eig-
nem Nahmen, und vi specialis mandati, ge-
hört hatte, worüber er, wenn er jagdmüde
war, sanft einschlief. -- Ich indessen setzte
meine Wiederholung fort, und hatte dadurch
den Vortheil, mit dem gehörten Wort bekann-
ter zu werden. Die Digestion der Wissenschaf-
ten wird eben hiedurch unendlich befördert,

wenn

ſetzte mir die Einbildungskraft alles. Ich las
Minens Briefe, beſchaͤftigte mich mit den
von ihr eingeweihten Sachen, und kam mir
wie ein Wittwer vor, der ſeine Frau in ſei-
nen von ihr zuruͤckgelaſſenen Kindern ſucht.
Seine ſchoͤnſte Zeit iſt, wenn er mit ihnen
ſpielen kann. — Meine Spaziergaͤnge waren
Kirchhoͤfe, Waͤldchens, und uͤberhaupt Oer-
ter, die mich deſto deutlicher an Minen erin-
nern konnten. Sie ſah ich uͤberall. Ich ſtu-
diert’ an ihrer Hand. — Sie beſeelte mich
mit Muth, und war mir ſans comparaiſon
das, was jedem Ritter ſeine Schoͤne iſt. —

Mein lieber v. G. blieb keinem Profeſſor
einen Dreyer ſchuldig, das iſt alles, was ihm
zum Ruhm im Teſtimonio behauptet werden
koͤnnen, wenn er ein dergleichen Ding noͤthig
gehabt haͤtte. Ich ſtudirt’ in ſeine Seele, als
ſein Sachwalter, und erzaͤhlt’ ihm des Abends
im Zeitungston, was ich den Tag uͤber in eig-
nem Nahmen, und vi ſpecialis mandati, ge-
hoͤrt hatte, woruͤber er, wenn er jagdmuͤde
war, ſanft einſchlief. — Ich indeſſen ſetzte
meine Wiederholung fort, und hatte dadurch
den Vortheil, mit dem gehoͤrten Wort bekann-
ter zu werden. Die Digeſtion der Wiſſenſchaf-
ten wird eben hiedurch unendlich befoͤrdert,

wenn
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[266/0274] ſetzte mir die Einbildungskraft alles. Ich las Minens Briefe, beſchaͤftigte mich mit den von ihr eingeweihten Sachen, und kam mir wie ein Wittwer vor, der ſeine Frau in ſei- nen von ihr zuruͤckgelaſſenen Kindern ſucht. Seine ſchoͤnſte Zeit iſt, wenn er mit ihnen ſpielen kann. — Meine Spaziergaͤnge waren Kirchhoͤfe, Waͤldchens, und uͤberhaupt Oer- ter, die mich deſto deutlicher an Minen erin- nern konnten. Sie ſah ich uͤberall. Ich ſtu- diert’ an ihrer Hand. — Sie beſeelte mich mit Muth, und war mir ſans comparaiſon das, was jedem Ritter ſeine Schoͤne iſt. — Mein lieber v. G. blieb keinem Profeſſor einen Dreyer ſchuldig, das iſt alles, was ihm zum Ruhm im Teſtimonio behauptet werden koͤnnen, wenn er ein dergleichen Ding noͤthig gehabt haͤtte. Ich ſtudirt’ in ſeine Seele, als ſein Sachwalter, und erzaͤhlt’ ihm des Abends im Zeitungston, was ich den Tag uͤber in eig- nem Nahmen, und vi ſpecialis mandati, ge- hoͤrt hatte, woruͤber er, wenn er jagdmuͤde war, ſanft einſchlief. — Ich indeſſen ſetzte meine Wiederholung fort, und hatte dadurch den Vortheil, mit dem gehoͤrten Wort bekann- ter zu werden. Die Digeſtion der Wiſſenſchaf- ten wird eben hiedurch unendlich befoͤrdert, wenn

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/274>, abgerufen am 07.05.2024.