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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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jetzt ihre veste Burg, in welche sie sich zu
werfen Willens war, wenn die böse Nachrede
sie verfolgen würde. -- Im Herzen konnt'
ihr nichts willkommner, als dieser Vorschlag
seyn; denn sie wolte gar zu gern, ihr künfti-
ges Bleibchen kennen lernen, und auch ihre
Stieftochter, von der so viel gutes gesagt ward.
Uebermorgen also! -- Der alte Herr beur-
laubte sich so gleich, und reisete mit Freuden
und mit Kummer zu seiner Wohnung. --

Mine! Mine! Mine, das arme von einem
Briefe an mich verscheuchte Mädchen, kam und
erfuhr die große Neuigkeit von dem Heil, das
diesem Hause wiederfahren solte. Der Stolz
macht' ihren Vater verdrießlich; denn es war
nicht nach Herzenslust in seinem Haus' einge-
richtet -- überall blickte Dürftigkeit hervor.
-- Würde nicht die Hofnung auf Denen die-
ser Leidenschaft Zaum und Gebiß angelegt ha-
ben; die arme Mine, was hätte sie nicht
noch mehr ausgestanden, als sie ausstand!
-- Das arme Mädchen, das viel zu edel
war, um ein einziges Wort von ihren häus-
lichen Verfaßungen gegen mich auch nur
fallen zu lassen: das sich in alles schi-
cken konnte: das selbst auch ihren Bruder
Benjamin, obgleich er das Schneiderhand-

werk

jetzt ihre veſte Burg, in welche ſie ſich zu
werfen Willens war, wenn die boͤſe Nachrede
ſie verfolgen wuͤrde. — Im Herzen konnt’
ihr nichts willkommner, als dieſer Vorſchlag
ſeyn; denn ſie wolte gar zu gern, ihr kuͤnfti-
ges Bleibchen kennen lernen, und auch ihre
Stieftochter, von der ſo viel gutes geſagt ward.
Uebermorgen alſo! — Der alte Herr beur-
laubte ſich ſo gleich, und reiſete mit Freuden
und mit Kummer zu ſeiner Wohnung. —

Mine! Mine! Mine, das arme von einem
Briefe an mich verſcheuchte Maͤdchen, kam und
erfuhr die große Neuigkeit von dem Heil, das
dieſem Hauſe wiederfahren ſolte. Der Stolz
macht’ ihren Vater verdrießlich; denn es war
nicht nach Herzensluſt in ſeinem Hauſ’ einge-
richtet — uͤberall blickte Duͤrftigkeit hervor.
— Wuͤrde nicht die Hofnung auf Denen die-
ſer Leidenſchaft Zaum und Gebiß angelegt ha-
ben; die arme Mine, was haͤtte ſie nicht
noch mehr ausgeſtanden, als ſie ausſtand!
— Das arme Maͤdchen, das viel zu edel
war, um ein einziges Wort von ihren haͤus-
lichen Verfaßungen gegen mich auch nur
fallen zu laſſen: das ſich in alles ſchi-
cken konnte: das ſelbſt auch ihren Bruder
Benjamin, obgleich er das Schneiderhand-

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[290/0298] jetzt ihre veſte Burg, in welche ſie ſich zu werfen Willens war, wenn die boͤſe Nachrede ſie verfolgen wuͤrde. — Im Herzen konnt’ ihr nichts willkommner, als dieſer Vorſchlag ſeyn; denn ſie wolte gar zu gern, ihr kuͤnfti- ges Bleibchen kennen lernen, und auch ihre Stieftochter, von der ſo viel gutes geſagt ward. Uebermorgen alſo! — Der alte Herr beur- laubte ſich ſo gleich, und reiſete mit Freuden und mit Kummer zu ſeiner Wohnung. — Mine! Mine! Mine, das arme von einem Briefe an mich verſcheuchte Maͤdchen, kam und erfuhr die große Neuigkeit von dem Heil, das dieſem Hauſe wiederfahren ſolte. Der Stolz macht’ ihren Vater verdrießlich; denn es war nicht nach Herzensluſt in ſeinem Hauſ’ einge- richtet — uͤberall blickte Duͤrftigkeit hervor. — Wuͤrde nicht die Hofnung auf Denen die- ſer Leidenſchaft Zaum und Gebiß angelegt ha- ben; die arme Mine, was haͤtte ſie nicht noch mehr ausgeſtanden, als ſie ausſtand! — Das arme Maͤdchen, das viel zu edel war, um ein einziges Wort von ihren haͤus- lichen Verfaßungen gegen mich auch nur fallen zu laſſen: das ſich in alles ſchi- cken konnte: das ſelbſt auch ihren Bruder Benjamin, obgleich er das Schneiderhand- werk

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/298>, abgerufen am 07.05.2024.