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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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störte ihn. Er verstummte selbst in der Kol-
lekte, und schluchzte laut. Der Schuster Veit,
der so gut singt als Einer, half ihm aus, ohne
daß es viel zu merken war. Dieser war be-
kannt, daß er Melodie hielt, und nicht weinen
konnte. Sie hatten eben die Todten begraben
und wollten heim gehen; da kam der Edelmann
auf sie zugesprengt. Er ritt keinen Fuchs, son-
dern einen Schwarzen.

Ha! dachte der Pastor, da er den Edel-
mann, den er wohl kannte, auf einem Rap-
pen, und nicht mehr auf dem Fuchs, sahe --
Ha, das Gewissen! das Gewissen! Es war
ihm Vergnügen, den Judas hängen zu sehen,
und wahrlich wenn ein Bösewicht von der
Welt Verzeihung haben will, muß er unstät
und flüchtig -- verzweifelnd aussehen. --

Der Bösewicht hätt' ohngefragt wissen
können was? und wie? und wer? Denn
unsre Todten kamen in eine Reih mit Mann
mit Vater. An dieser Stelle, Bösewicht,
hast du geweint. Er frug aber ein blosses
kaltblütiges wer?

Anne, sagte der Pastor, und zog seinen
Hut ab, und die Thränen stürzten herunter,
als göß' er seine Augen aus -- Anne, sagt,
er, und die ganze Versammlung wimmerte

Anne

ſtoͤrte ihn. Er verſtummte ſelbſt in der Kol-
lekte, und ſchluchzte laut. Der Schuſter Veit,
der ſo gut ſingt als Einer, half ihm aus, ohne
daß es viel zu merken war. Dieſer war be-
kannt, daß er Melodie hielt, und nicht weinen
konnte. Sie hatten eben die Todten begraben
und wollten heim gehen; da kam der Edelmann
auf ſie zugeſprengt. Er ritt keinen Fuchs, ſon-
dern einen Schwarzen.

Ha! dachte der Paſtor, da er den Edel-
mann, den er wohl kannte, auf einem Rap-
pen, und nicht mehr auf dem Fuchs, ſahe —
Ha, das Gewiſſen! das Gewiſſen! Es war
ihm Vergnuͤgen, den Judas haͤngen zu ſehen,
und wahrlich wenn ein Boͤſewicht von der
Welt Verzeihung haben will, muß er unſtaͤt
und fluͤchtig — verzweifelnd ausſehen. —

Der Boͤſewicht haͤtt’ ohngefragt wiſſen
koͤnnen was? und wie? und wer? Denn
unſre Todten kamen in eine Reih mit Mann
mit Vater. An dieſer Stelle, Boͤſewicht,
haſt du geweint. Er frug aber ein bloſſes
kaltbluͤtiges wer?

Anne, ſagte der Paſtor, und zog ſeinen
Hut ab, und die Thraͤnen ſtuͤrzten herunter,
als goͤß’ er ſeine Augen aus — Anne, ſagt,
er, und die ganze Verſammlung wimmerte

Anne
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[612/0624] ſtoͤrte ihn. Er verſtummte ſelbſt in der Kol- lekte, und ſchluchzte laut. Der Schuſter Veit, der ſo gut ſingt als Einer, half ihm aus, ohne daß es viel zu merken war. Dieſer war be- kannt, daß er Melodie hielt, und nicht weinen konnte. Sie hatten eben die Todten begraben und wollten heim gehen; da kam der Edelmann auf ſie zugeſprengt. Er ritt keinen Fuchs, ſon- dern einen Schwarzen. Ha! dachte der Paſtor, da er den Edel- mann, den er wohl kannte, auf einem Rap- pen, und nicht mehr auf dem Fuchs, ſahe — Ha, das Gewiſſen! das Gewiſſen! Es war ihm Vergnuͤgen, den Judas haͤngen zu ſehen, und wahrlich wenn ein Boͤſewicht von der Welt Verzeihung haben will, muß er unſtaͤt und fluͤchtig — verzweifelnd ausſehen. — Der Boͤſewicht haͤtt’ ohngefragt wiſſen koͤnnen was? und wie? und wer? Denn unſre Todten kamen in eine Reih mit Mann mit Vater. An dieſer Stelle, Boͤſewicht, haſt du geweint. Er frug aber ein bloſſes kaltbluͤtiges wer? Anne, ſagte der Paſtor, und zog ſeinen Hut ab, und die Thraͤnen ſtuͤrzten herunter, als goͤß’ er ſeine Augen aus — Anne, ſagt, er, und die ganze Verſammlung wimmerte Anne

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 612. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/624>, abgerufen am 28.04.2024.