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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Merklich ward dieser Verlust durch den Um-
stand, daß meine Mutter sehr gelassen an-
stimmte:
Was wilst du, armes Leben!
Ja wohl armes Leben, auch bey der Gabe der
Prophezeyung, und bey dem Geiste der Kraft
und Macht! Es war dieser Tag Minens
Sterbetag. Auch an diesem Tage beobachtete
meine Mutter ihre Fasten so streng, als ob sie
den Tag vorher bey einer Hochzeit auf den
Fasttag pränumeriret hätte. -- Sie fühlte,
wie sie selbst sagte, daß sie zu weit gegangen --
Wahrlich, es war mehr, als ein Gang. Ein
Kind geht -- Jetzt war sie wieder in diesem
Kindergeleise -- im Gange -- Das erste,
was sie in demselben that, war ein Brief an
den Herrn Amtsbruder, der in der Vacanz ab
und zureißte. Sie bat ihn, ihr die Commu-
nion zu reichen, als welches sie in ihrer Exrase,
wie sie selbst sagte, nicht gebeten haben würde.
Sie wußte alles, was in dieser Entzückungs-
zeit vorgefallen war, aufs genaueste. Der
Amtsbruder versprach zu kommen und kam.
Kurz vor seiner Ankunft hatte meine Mutter
Tint und Feder gefordert, und eine Viertel-
stunde geschrieben. Sie versiegelte diese
Schrift dreymahl! --

Von
G

Merklich ward dieſer Verluſt durch den Um-
ſtand, daß meine Mutter ſehr gelaſſen an-
ſtimmte:
Was wilſt du, armes Leben!
Ja wohl armes Leben, auch bey der Gabe der
Prophezeyung, und bey dem Geiſte der Kraft
und Macht! Es war dieſer Tag Minens
Sterbetag. Auch an dieſem Tage beobachtete
meine Mutter ihre Faſten ſo ſtreng, als ob ſie
den Tag vorher bey einer Hochzeit auf den
Faſttag praͤnumeriret haͤtte. — Sie fuͤhlte,
wie ſie ſelbſt ſagte, daß ſie zu weit gegangen —
Wahrlich, es war mehr, als ein Gang. Ein
Kind geht — Jetzt war ſie wieder in dieſem
Kindergeleiſe — im Gange — Das erſte,
was ſie in demſelben that, war ein Brief an
den Herrn Amtsbruder, der in der Vacanz ab
und zureißte. Sie bat ihn, ihr die Commu-
nion zu reichen, als welches ſie in ihrer Exraſe,
wie ſie ſelbſt ſagte, nicht gebeten haben wuͤrde.
Sie wußte alles, was in dieſer Entzuͤckungs-
zeit vorgefallen war, aufs genaueſte. Der
Amtsbruder verſprach zu kommen und kam.
Kurz vor ſeiner Ankunft hatte meine Mutter
Tint und Feder gefordert, und eine Viertel-
ſtunde geſchrieben. Sie verſiegelte dieſe
Schrift dreymahl! —

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G
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[97/0103] Merklich ward dieſer Verluſt durch den Um- ſtand, daß meine Mutter ſehr gelaſſen an- ſtimmte: Was wilſt du, armes Leben! Ja wohl armes Leben, auch bey der Gabe der Prophezeyung, und bey dem Geiſte der Kraft und Macht! Es war dieſer Tag Minens Sterbetag. Auch an dieſem Tage beobachtete meine Mutter ihre Faſten ſo ſtreng, als ob ſie den Tag vorher bey einer Hochzeit auf den Faſttag praͤnumeriret haͤtte. — Sie fuͤhlte, wie ſie ſelbſt ſagte, daß ſie zu weit gegangen — Wahrlich, es war mehr, als ein Gang. Ein Kind geht — Jetzt war ſie wieder in dieſem Kindergeleiſe — im Gange — Das erſte, was ſie in demſelben that, war ein Brief an den Herrn Amtsbruder, der in der Vacanz ab und zureißte. Sie bat ihn, ihr die Commu- nion zu reichen, als welches ſie in ihrer Exraſe, wie ſie ſelbſt ſagte, nicht gebeten haben wuͤrde. Sie wußte alles, was in dieſer Entzuͤckungs- zeit vorgefallen war, aufs genaueſte. Der Amtsbruder verſprach zu kommen und kam. Kurz vor ſeiner Ankunft hatte meine Mutter Tint und Feder gefordert, und eine Viertel- ſtunde geſchrieben. Sie verſiegelte dieſe Schrift dreymahl! — Von G

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/103>, abgerufen am 29.04.2024.