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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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Weibes; das Weib, daß ihr Erstgebohrner
ihr wohl gedeye; der Jüngling für seine Ge-
liebte; die Braut um die treue Liebe ihres
künftigen Gatten; das Kind um das Leben
seiner Eltern! Was jedem das liebste und
beste war, das erflehte er sich bey diesem Gra-
be, und jedes warf eine Handvoll Erde! --

Freunde! Schaudert ihr vor dem kalten
Arm der Erde? Seyd getrost! Ihr werdet
in ihm von der Last eurer Pilgrimschaft aus-
ruhen, und auch der hier nicht viel schlafen
konnte, wie sanft wird er hier sich legen!
Was weiß ich, schreibt die Pastorin, ob das
Laken gerissen, oder die Wehmuth derer, die
einsenkten, daran Schuld gewesen? (die Weh-
muth ist schwach wie ein Kind) -- der Sarg
riß sich loß, recht als ob er die Zeit nicht ab-
warten konnte! Wie er nahe an meines Va-
ters Sarg kam, wankte der Deckel. Dies
vermochte die Träger um die Erlaubnis zu
bitten, beyde Särger noch zu öfnen, und
beyde Hände in einander zu legen. Diese ein-
fältige fromme Bitte ward von den Leichenbe-
gleitern bewilliget, und sie copulirten dieses
Paar, weinten die bittersten Thränen auf die
Hände, deckten jeden Sarg zu, und alles em-
pfand bey diesem ungekünstelten unbereiteten

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Weibes; das Weib, daß ihr Erſtgebohrner
ihr wohl gedeye; der Juͤngling fuͤr ſeine Ge-
liebte; die Braut um die treue Liebe ihres
kuͤnftigen Gatten; das Kind um das Leben
ſeiner Eltern! Was jedem das liebſte und
beſte war, das erflehte er ſich bey dieſem Gra-
be, und jedes warf eine Handvoll Erde! —

Freunde! Schaudert ihr vor dem kalten
Arm der Erde? Seyd getroſt! Ihr werdet
in ihm von der Laſt eurer Pilgrimſchaft aus-
ruhen, und auch der hier nicht viel ſchlafen
konnte, wie ſanft wird er hier ſich legen!
Was weiß ich, ſchreibt die Paſtorin, ob das
Laken geriſſen, oder die Wehmuth derer, die
einſenkten, daran Schuld geweſen? (die Weh-
muth iſt ſchwach wie ein Kind) — der Sarg
riß ſich loß, recht als ob er die Zeit nicht ab-
warten konnte! Wie er nahe an meines Va-
ters Sarg kam, wankte der Deckel. Dies
vermochte die Traͤger um die Erlaubnis zu
bitten, beyde Saͤrger noch zu oͤfnen, und
beyde Haͤnde in einander zu legen. Dieſe ein-
faͤltige fromme Bitte ward von den Leichenbe-
gleitern bewilliget, und ſie copulirten dieſes
Paar, weinten die bitterſten Thraͤnen auf die
Haͤnde, deckten jeden Sarg zu, und alles em-
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[121/0127] Weibes; das Weib, daß ihr Erſtgebohrner ihr wohl gedeye; der Juͤngling fuͤr ſeine Ge- liebte; die Braut um die treue Liebe ihres kuͤnftigen Gatten; das Kind um das Leben ſeiner Eltern! Was jedem das liebſte und beſte war, das erflehte er ſich bey dieſem Gra- be, und jedes warf eine Handvoll Erde! — Freunde! Schaudert ihr vor dem kalten Arm der Erde? Seyd getroſt! Ihr werdet in ihm von der Laſt eurer Pilgrimſchaft aus- ruhen, und auch der hier nicht viel ſchlafen konnte, wie ſanft wird er hier ſich legen! Was weiß ich, ſchreibt die Paſtorin, ob das Laken geriſſen, oder die Wehmuth derer, die einſenkten, daran Schuld geweſen? (die Weh- muth iſt ſchwach wie ein Kind) — der Sarg riß ſich loß, recht als ob er die Zeit nicht ab- warten konnte! Wie er nahe an meines Va- ters Sarg kam, wankte der Deckel. Dies vermochte die Traͤger um die Erlaubnis zu bitten, beyde Saͤrger noch zu oͤfnen, und beyde Haͤnde in einander zu legen. Dieſe ein- faͤltige fromme Bitte ward von den Leichenbe- gleitern bewilliget, und ſie copulirten dieſes Paar, weinten die bitterſten Thraͤnen auf die Haͤnde, deckten jeden Sarg zu, und alles em- pfand bey dieſem ungekuͤnſtelten unbereiteten Vor- H 5

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/127>, abgerufen am 29.04.2024.