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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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will sich selbst halten, sich selbst binden. --
Die Hände meiner Mutter bewegten sich in-
dessen auch gefaltet, und zwar der Ehrfurcht
unbeschadet. Sie hatte keine Menschenfurcht;
indessen war sie auch eben so weit entfernt,
sich zu erdreisten.

Ihr seyd ein Narr, sagte ein bekannter
Landesvater zu einem seiner Höflinge! Wer
ists nicht, allergnädigster Herr, erwiederte
der Höfling? Dies: wer ists nicht? sieht
meiner Mutter ähnlich; obgleich sie gewis in
einem andern Ton, als der Hofnarr, es ge-
sagt haben würde. Da sie alles nahm, wie
es kam, fiel nichts bey ihr vor, das wie ge-
sucht anscheinen könnte! Sie pflegte zu sa-
gen: man muß keinem Gedanken die Thür
verschließen. -- Sie war im höchsten Grade
gastfrey.

Trau, schau wem! war ihr ein Sprüch-
wort, das sie nicht liebte; obgleich wider den
Reim nichts zu sagen ist.

Sie hielte keine Wirthschaftsbücher, und
liebte sehr, ohne Etat zu leben. Wenn der
liebe Gott mit uns alles zu Buch bringen
sollte, pflegte sie zu sagen: Ey denn! -- Sie
dachte überhaupt alles ohne Zahlen.

Mein
J

will ſich ſelbſt halten, ſich ſelbſt binden. —
Die Haͤnde meiner Mutter bewegten ſich in-
deſſen auch gefaltet, und zwar der Ehrfurcht
unbeſchadet. Sie hatte keine Menſchenfurcht;
indeſſen war ſie auch eben ſo weit entfernt,
ſich zu erdreiſten.

Ihr ſeyd ein Narr, ſagte ein bekannter
Landesvater zu einem ſeiner Hoͤflinge! Wer
iſts nicht, allergnaͤdigſter Herr, erwiederte
der Hoͤfling? Dies: wer iſts nicht? ſieht
meiner Mutter aͤhnlich; obgleich ſie gewis in
einem andern Ton, als der Hofnarr, es ge-
ſagt haben wuͤrde. Da ſie alles nahm, wie
es kam, fiel nichts bey ihr vor, das wie ge-
ſucht anſcheinen koͤnnte! Sie pflegte zu ſa-
gen: man muß keinem Gedanken die Thuͤr
verſchließen. — Sie war im hoͤchſten Grade
gaſtfrey.

Trau, ſchau wem! war ihr ein Spruͤch-
wort, das ſie nicht liebte; obgleich wider den
Reim nichts zu ſagen iſt.

Sie hielte keine Wirthſchaftsbuͤcher, und
liebte ſehr, ohne Etat zu leben. Wenn der
liebe Gott mit uns alles zu Buch bringen
ſollte, pflegte ſie zu ſagen: Ey denn! — Sie
dachte uͤberhaupt alles ohne Zahlen.

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[129/0135] will ſich ſelbſt halten, ſich ſelbſt binden. — Die Haͤnde meiner Mutter bewegten ſich in- deſſen auch gefaltet, und zwar der Ehrfurcht unbeſchadet. Sie hatte keine Menſchenfurcht; indeſſen war ſie auch eben ſo weit entfernt, ſich zu erdreiſten. Ihr ſeyd ein Narr, ſagte ein bekannter Landesvater zu einem ſeiner Hoͤflinge! Wer iſts nicht, allergnaͤdigſter Herr, erwiederte der Hoͤfling? Dies: wer iſts nicht? ſieht meiner Mutter aͤhnlich; obgleich ſie gewis in einem andern Ton, als der Hofnarr, es ge- ſagt haben wuͤrde. Da ſie alles nahm, wie es kam, fiel nichts bey ihr vor, das wie ge- ſucht anſcheinen koͤnnte! Sie pflegte zu ſa- gen: man muß keinem Gedanken die Thuͤr verſchließen. — Sie war im hoͤchſten Grade gaſtfrey. Trau, ſchau wem! war ihr ein Spruͤch- wort, das ſie nicht liebte; obgleich wider den Reim nichts zu ſagen iſt. Sie hielte keine Wirthſchaftsbuͤcher, und liebte ſehr, ohne Etat zu leben. Wenn der liebe Gott mit uns alles zu Buch bringen ſollte, pflegte ſie zu ſagen: Ey denn! — Sie dachte uͤberhaupt alles ohne Zahlen. Mein J

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/135>, abgerufen am 29.04.2024.