Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Beweiß, als die Liebe zum Bruder. Die
meisten Menschen glauben, den lieben Gott
so behandeln zu müssen, wie einen vornehmen
Herrn; obgleich Christus ihn als Vater dar-
gestellt hat. Er hat sich uns zum Vater
hergegeben
. Wer hat sich aber nicht von
Jugend auf angewöhnt, Gott zu schmeichlen,
dem Herzenskündiger mündlich zu versichern,
was uns nicht ums Herz ist? Ihn mit den
Lippen zu ehren, und die Seele, sein Gnaden-
werk, von ihm zu entfernen?

Kurz, wer bemüht sich nicht, durch süße
Reden Gott ums Herz zu betrügen? Solch
eine Führung halt ich gerades Weges für
Menschengebot und Menschentand. Wenn
es mich angreift, schreye ich aus. Ich bin
zuweilen ordentlich bös' auf den lieben Gott,
und da wett ich, das muß ihm lieber seyn,
als wenn ich den Widerwärtigkeiten äußerlich
begegne, wie einem Boten von ihm, und in-
nerlich wünsche, daß dieser Abgeordnete zum
T -- wäre! -- Ich bekenne es frey, daß ich
nicht danken, nicht beten kann, wenn mich
Unglück trift. Wenns donnert, ist der lustig-
ste Vogel hypochondrisch, und wenns ein schö-
ner Morgen ist, wie jubilirt die ganze Schöp-
fung! Ueberhaupt denk ich vom Gebet an-

ders,

Beweiß, als die Liebe zum Bruder. Die
meiſten Menſchen glauben, den lieben Gott
ſo behandeln zu muͤſſen, wie einen vornehmen
Herrn; obgleich Chriſtus ihn als Vater dar-
geſtellt hat. Er hat ſich uns zum Vater
hergegeben
. Wer hat ſich aber nicht von
Jugend auf angewoͤhnt, Gott zu ſchmeichlen,
dem Herzenskuͤndiger muͤndlich zu verſichern,
was uns nicht ums Herz iſt? Ihn mit den
Lippen zu ehren, und die Seele, ſein Gnaden-
werk, von ihm zu entfernen?

Kurz, wer bemuͤht ſich nicht, durch ſuͤße
Reden Gott ums Herz zu betruͤgen? Solch
eine Fuͤhrung halt ich gerades Weges fuͤr
Menſchengebot und Menſchentand. Wenn
es mich angreift, ſchreye ich aus. Ich bin
zuweilen ordentlich boͤſ’ auf den lieben Gott,
und da wett ich, das muß ihm lieber ſeyn,
als wenn ich den Widerwaͤrtigkeiten aͤußerlich
begegne, wie einem Boten von ihm, und in-
nerlich wuͤnſche, daß dieſer Abgeordnete zum
T — waͤre! — Ich bekenne es frey, daß ich
nicht danken, nicht beten kann, wenn mich
Ungluͤck trift. Wenns donnert, iſt der luſtig-
ſte Vogel hypochondriſch, und wenns ein ſchoͤ-
ner Morgen iſt, wie jubilirt die ganze Schoͤp-
fung! Ueberhaupt denk ich vom Gebet an-

ders,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0238" n="232"/>
Beweiß, als die Liebe zum Bruder. Die<lb/>
mei&#x017F;ten Men&#x017F;chen glauben, den lieben Gott<lb/>
&#x017F;o behandeln zu mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wie einen vornehmen<lb/>
Herrn; obgleich Chri&#x017F;tus ihn als Vater dar-<lb/>
ge&#x017F;tellt hat. <hi rendition="#fr">Er</hi> hat &#x017F;ich uns <hi rendition="#fr">zum Vater<lb/>
hergegeben</hi>. Wer hat &#x017F;ich aber nicht von<lb/>
Jugend auf angewo&#x0364;hnt, Gott zu &#x017F;chmeichlen,<lb/>
dem Herzensku&#x0364;ndiger mu&#x0364;ndlich zu ver&#x017F;ichern,<lb/>
was uns nicht ums Herz i&#x017F;t? Ihn mit den<lb/>
Lippen zu ehren, und die Seele, &#x017F;ein Gnaden-<lb/>
werk, von ihm zu entfernen?</p><lb/>
        <p>Kurz, wer bemu&#x0364;ht &#x017F;ich nicht, durch &#x017F;u&#x0364;ße<lb/>
Reden Gott ums Herz zu betru&#x0364;gen? Solch<lb/>
eine Fu&#x0364;hrung halt ich gerades Weges fu&#x0364;r<lb/>
Men&#x017F;chengebot und Men&#x017F;chentand. Wenn<lb/>
es mich angreift, &#x017F;chreye ich aus. Ich bin<lb/>
zuweilen ordentlich bo&#x0364;&#x017F;&#x2019; auf den lieben Gott,<lb/>
und da wett ich, das muß ihm lieber &#x017F;eyn,<lb/>
als wenn ich den Widerwa&#x0364;rtigkeiten a&#x0364;ußerlich<lb/>
begegne, wie einem Boten von ihm, und in-<lb/>
nerlich wu&#x0364;n&#x017F;che, daß die&#x017F;er Abgeordnete zum<lb/>
T &#x2014; wa&#x0364;re! &#x2014; Ich bekenne es frey, daß ich<lb/>
nicht danken, nicht beten kann, wenn mich<lb/>
Unglu&#x0364;ck trift. Wenns donnert, i&#x017F;t der lu&#x017F;tig-<lb/>
&#x017F;te Vogel hypochondri&#x017F;ch, und wenns ein &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
ner Morgen i&#x017F;t, wie jubilirt die ganze Scho&#x0364;p-<lb/>
fung! Ueberhaupt denk ich vom Gebet an-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ders,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0238] Beweiß, als die Liebe zum Bruder. Die meiſten Menſchen glauben, den lieben Gott ſo behandeln zu muͤſſen, wie einen vornehmen Herrn; obgleich Chriſtus ihn als Vater dar- geſtellt hat. Er hat ſich uns zum Vater hergegeben. Wer hat ſich aber nicht von Jugend auf angewoͤhnt, Gott zu ſchmeichlen, dem Herzenskuͤndiger muͤndlich zu verſichern, was uns nicht ums Herz iſt? Ihn mit den Lippen zu ehren, und die Seele, ſein Gnaden- werk, von ihm zu entfernen? Kurz, wer bemuͤht ſich nicht, durch ſuͤße Reden Gott ums Herz zu betruͤgen? Solch eine Fuͤhrung halt ich gerades Weges fuͤr Menſchengebot und Menſchentand. Wenn es mich angreift, ſchreye ich aus. Ich bin zuweilen ordentlich boͤſ’ auf den lieben Gott, und da wett ich, das muß ihm lieber ſeyn, als wenn ich den Widerwaͤrtigkeiten aͤußerlich begegne, wie einem Boten von ihm, und in- nerlich wuͤnſche, daß dieſer Abgeordnete zum T — waͤre! — Ich bekenne es frey, daß ich nicht danken, nicht beten kann, wenn mich Ungluͤck trift. Wenns donnert, iſt der luſtig- ſte Vogel hypochondriſch, und wenns ein ſchoͤ- ner Morgen iſt, wie jubilirt die ganze Schoͤp- fung! Ueberhaupt denk ich vom Gebet an- ders,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/238
Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/238>, abgerufen am 01.05.2024.