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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781.

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alles hier spricht und widerspricht! -- Eine
Wäscherin heyrathet einen Kohlbrenner, eine
Herrenhüterin, die selbst so schlecht und recht
einhergeht, als könnte sie nicht drey zählen,
nährt sich vom Putzmachen. Jedes geht sei-
nen Weg. Keiner legt es an, den andern zu
bekehren. Juden, daß versichre Ew. Wohl-
Ehrwürden auf meinen christlichen Glauben,
kommen so gar in christliche Kirchen, nicht
um sich zu bekehren und zu leben, sondern um
eine wohlgesetzte Predigt zu hören. In der
Kirche bis auf die schöne Musik zu, ist es wie
auf dem Tanzboden. Alles faßt sich an, hier
mit der Hand, dort mit den Augen. Daß
die Toleranz dem lieben Gott ein Greul sey,
weiß ich wie Einer, daß aber die Leute hier
just so dick und fett sind, wie anderswo, ist
nicht zu leugnen. Mag aber wohl ungesun-
des Fett seyn! Hexen glaubt hier kein Kind
von acht Tagen, das doch so in seinen besten
Glaubens Jahren ist. Mein adelicher Herr
sagte gestern: wenn hier die alten Weiber, mit
Ew. WohlEhrwürden Erlaubnis, noch so heß-
lich aussehen, es ist keine der Gefahr ausge-
setzt, verbrannt zu werden, wiewohl auch zu
meiner Zeit keine in Curland, Gott seys ge-
klagt! in Rauch aufgegangen. Ich möchte

gern

alles hier ſpricht und widerſpricht! — Eine
Waͤſcherin heyrathet einen Kohlbrenner, eine
Herrenhuͤterin, die ſelbſt ſo ſchlecht und recht
einhergeht, als koͤnnte ſie nicht drey zaͤhlen,
naͤhrt ſich vom Putzmachen. Jedes geht ſei-
nen Weg. Keiner legt es an, den andern zu
bekehren. Juden, daß verſichre Ew. Wohl-
Ehrwuͤrden auf meinen chriſtlichen Glauben,
kommen ſo gar in chriſtliche Kirchen, nicht
um ſich zu bekehren und zu leben, ſondern um
eine wohlgeſetzte Predigt zu hoͤren. In der
Kirche bis auf die ſchoͤne Muſik zu, iſt es wie
auf dem Tanzboden. Alles faßt ſich an, hier
mit der Hand, dort mit den Augen. Daß
die Toleranz dem lieben Gott ein Greul ſey,
weiß ich wie Einer, daß aber die Leute hier
juſt ſo dick und fett ſind, wie anderswo, iſt
nicht zu leugnen. Mag aber wohl ungeſun-
des Fett ſeyn! Hexen glaubt hier kein Kind
von acht Tagen, das doch ſo in ſeinen beſten
Glaubens Jahren iſt. Mein adelicher Herr
ſagte geſtern: wenn hier die alten Weiber, mit
Ew. WohlEhrwuͤrden Erlaubnis, noch ſo heß-
lich ausſehen, es iſt keine der Gefahr ausge-
ſetzt, verbrannt zu werden, wiewohl auch zu
meiner Zeit keine in Curland, Gott ſeys ge-
klagt! in Rauch aufgegangen. Ich moͤchte

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[286/0292] alles hier ſpricht und widerſpricht! — Eine Waͤſcherin heyrathet einen Kohlbrenner, eine Herrenhuͤterin, die ſelbſt ſo ſchlecht und recht einhergeht, als koͤnnte ſie nicht drey zaͤhlen, naͤhrt ſich vom Putzmachen. Jedes geht ſei- nen Weg. Keiner legt es an, den andern zu bekehren. Juden, daß verſichre Ew. Wohl- Ehrwuͤrden auf meinen chriſtlichen Glauben, kommen ſo gar in chriſtliche Kirchen, nicht um ſich zu bekehren und zu leben, ſondern um eine wohlgeſetzte Predigt zu hoͤren. In der Kirche bis auf die ſchoͤne Muſik zu, iſt es wie auf dem Tanzboden. Alles faßt ſich an, hier mit der Hand, dort mit den Augen. Daß die Toleranz dem lieben Gott ein Greul ſey, weiß ich wie Einer, daß aber die Leute hier juſt ſo dick und fett ſind, wie anderswo, iſt nicht zu leugnen. Mag aber wohl ungeſun- des Fett ſeyn! Hexen glaubt hier kein Kind von acht Tagen, das doch ſo in ſeinen beſten Glaubens Jahren iſt. Mein adelicher Herr ſagte geſtern: wenn hier die alten Weiber, mit Ew. WohlEhrwuͤrden Erlaubnis, noch ſo heß- lich ausſehen, es iſt keine der Gefahr ausge- ſetzt, verbrannt zu werden, wiewohl auch zu meiner Zeit keine in Curland, Gott ſeys ge- klagt! in Rauch aufgegangen. Ich moͤchte gern

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 3,2. Berlin, 1781, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe0302_1781/292>, abgerufen am 14.05.2024.