Die Gartenkunst ahmet nicht nur die Natur nach, indem sie den Wohnplatz des Menschen verschönert; sie erhöht auch sein Gefühl von der Güte der Gottheit, sie be- fördert die Fröhlichkeit und Anmuthigkeit seines Geistes, und selbst das Wohlwollen gegen seine Nebengeschöpfe, so wie die Bewohner schöner Länder davon mehr haben, als die, welche das Schicksal in elenden Gegenden verkerkert hält. Die öden Wüsten Laplands und Sibiriens ermüden und schrecken nicht nur den Reisenden; sie ver- graben auch den Geist und die Empfindungskraft des Einwohners, indem sie Unthätig- keit, Misvergnügen, ein mürrisches und niedergeschlagenes Wesen einflößen. In Ge- genden, die wohl bebauet und mit anmuthigen Gärten bepflanzt sind, wird man den Menschen sich viel eher an die anständigen und stillern Ergötzungen der Natur gewöh- nen sehen, die ihn allmählig die groben und kostbaren Arten von Zeitvertreiben ver- schmähen lehren. Sein Geist wird unter so vielen reizenden Gegenständen Heiterkeit und ein aufgewecktes Wesen, seine Gefühle werden mehr Milde, mehr Verfeinerung annehmen. Er wird seine ganze Natur belebter fühlen, sich in allen ihren schönen Fä- higkeiten geschwinder und glücklicher zu entwickeln. Gewiß wichtiger, als dem gemei- nen Verstande begreiflich ist, sind die Einwirkungen der schönen Auftritte des Landes und der Gärten auf die Einbildungskraft und die Empfindsamkeit des Menschen. Die Phantasie, die sich aus ihnen erweitert und bereichert, wird nicht mit den unbe- lebten Gegenständen in der Tiefe bleiben; sie wird mit einem erleichterten Flug von ei- ner Reihe neuer Bilder zu der andern sich erheben lernen, bis sie über die bekannten veranlassenden Vorwürfe hinaus, durch eine geiftige Betrachtung der ursprünglichen Schönheit und Größe, in Entzückungen dahinschwebt, die über die gewöhnlichen Ein- drücke der Natur auf die Organe der Empfindung unendlich erhaben sind.
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Theorie
Vierter Abſchnitt. Von der Beſtimmung ꝛc.
Die Gartenkunſt ahmet nicht nur die Natur nach, indem ſie den Wohnplatz des Menſchen verſchoͤnert; ſie erhoͤht auch ſein Gefuͤhl von der Guͤte der Gottheit, ſie be- foͤrdert die Froͤhlichkeit und Anmuthigkeit ſeines Geiſtes, und ſelbſt das Wohlwollen gegen ſeine Nebengeſchoͤpfe, ſo wie die Bewohner ſchoͤner Laͤnder davon mehr haben, als die, welche das Schickſal in elenden Gegenden verkerkert haͤlt. Die oͤden Wuͤſten Laplands und Sibiriens ermuͤden und ſchrecken nicht nur den Reiſenden; ſie ver- graben auch den Geiſt und die Empfindungskraft des Einwohners, indem ſie Unthaͤtig- keit, Misvergnuͤgen, ein muͤrriſches und niedergeſchlagenes Weſen einfloͤßen. In Ge- genden, die wohl bebauet und mit anmuthigen Gaͤrten bepflanzt ſind, wird man den Menſchen ſich viel eher an die anſtaͤndigen und ſtillern Ergoͤtzungen der Natur gewoͤh- nen ſehen, die ihn allmaͤhlig die groben und koſtbaren Arten von Zeitvertreiben ver- ſchmaͤhen lehren. Sein Geiſt wird unter ſo vielen reizenden Gegenſtaͤnden Heiterkeit und ein aufgewecktes Weſen, ſeine Gefuͤhle werden mehr Milde, mehr Verfeinerung annehmen. Er wird ſeine ganze Natur belebter fuͤhlen, ſich in allen ihren ſchoͤnen Faͤ- higkeiten geſchwinder und gluͤcklicher zu entwickeln. Gewiß wichtiger, als dem gemei- nen Verſtande begreiflich iſt, ſind die Einwirkungen der ſchoͤnen Auftritte des Landes und der Gaͤrten auf die Einbildungskraft und die Empfindſamkeit des Menſchen. Die Phantaſie, die ſich aus ihnen erweitert und bereichert, wird nicht mit den unbe- lebten Gegenſtaͤnden in der Tiefe bleiben; ſie wird mit einem erleichterten Flug von ei- ner Reihe neuer Bilder zu der andern ſich erheben lernen, bis ſie uͤber die bekannten veranlaſſenden Vorwuͤrfe hinaus, durch eine geiftige Betrachtung der urſpruͤnglichen Schoͤnheit und Groͤße, in Entzuͤckungen dahinſchwebt, die uͤber die gewoͤhnlichen Ein- druͤcke der Natur auf die Organe der Empfindung unendlich erhaben ſind.
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Theorie
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Vierter Abſchnitt. Von der Beſtimmung ꝛc.
Die Gartenkunſt ahmet nicht nur die Natur nach, indem ſie den Wohnplatz des
Menſchen verſchoͤnert; ſie erhoͤht auch ſein Gefuͤhl von der Guͤte der Gottheit, ſie be-
foͤrdert die Froͤhlichkeit und Anmuthigkeit ſeines Geiſtes, und ſelbſt das Wohlwollen
gegen ſeine Nebengeſchoͤpfe, ſo wie die Bewohner ſchoͤner Laͤnder davon mehr haben,
als die, welche das Schickſal in elenden Gegenden verkerkert haͤlt. Die oͤden Wuͤſten
Laplands und Sibiriens ermuͤden und ſchrecken nicht nur den Reiſenden; ſie ver-
graben auch den Geiſt und die Empfindungskraft des Einwohners, indem ſie Unthaͤtig-
keit, Misvergnuͤgen, ein muͤrriſches und niedergeſchlagenes Weſen einfloͤßen. In Ge-
genden, die wohl bebauet und mit anmuthigen Gaͤrten bepflanzt ſind, wird man den
Menſchen ſich viel eher an die anſtaͤndigen und ſtillern Ergoͤtzungen der Natur gewoͤh-
nen ſehen, die ihn allmaͤhlig die groben und koſtbaren Arten von Zeitvertreiben ver-
ſchmaͤhen lehren. Sein Geiſt wird unter ſo vielen reizenden Gegenſtaͤnden Heiterkeit
und ein aufgewecktes Weſen, ſeine Gefuͤhle werden mehr Milde, mehr Verfeinerung
annehmen. Er wird ſeine ganze Natur belebter fuͤhlen, ſich in allen ihren ſchoͤnen Faͤ-
higkeiten geſchwinder und gluͤcklicher zu entwickeln. Gewiß wichtiger, als dem gemei-
nen Verſtande begreiflich iſt, ſind die Einwirkungen der ſchoͤnen Auftritte des Landes
und der Gaͤrten auf die Einbildungskraft und die Empfindſamkeit des Menſchen.
Die Phantaſie, die ſich aus ihnen erweitert und bereichert, wird nicht mit den unbe-
lebten Gegenſtaͤnden in der Tiefe bleiben; ſie wird mit einem erleichterten Flug von ei-
ner Reihe neuer Bilder zu der andern ſich erheben lernen, bis ſie uͤber die bekannten
veranlaſſenden Vorwuͤrfe hinaus, durch eine geiftige Betrachtung der urſpruͤnglichen
Schoͤnheit und Groͤße, in Entzuͤckungen dahinſchwebt, die uͤber die gewoͤhnlichen Ein-
druͤcke der Natur auf die Organe der Empfindung unendlich erhaben ſind.
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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 1. Leipzig, 1779, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst1_1779/172>, abgerufen am 27.07.2024.
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