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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780.

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Vom Wasser.
tes Thaugestöber umher verspritzen; der sanfte Staubregen gießt Befruchtung und
Verschönerung aus, und die am nächsten stehenden Geschlechter sehen in dem Spie-
gel des bewegten Beckens verwundernd ihr Haupt hin und her zittern. Die Natur
und die Kunst stimmen hier sehr wohl in der Bildung eines kleinen reizenden Schau-
spiels zusammen, das zuweilen noch mehr von einfallenden Blicken des Sonnenlichts
gewinnt, und das nahe vor dem Eingang eines Speisesaals, vor einem Cabinet dem
Studieren oder der Ruhe gewidmet, mit einer Art von Wollust genossen
wird.

Auch in den Städten geben hohe Springbrunnen vor Palästen und auf öf-
fentlichen Plätzen, mit dem Nutzen des Wassers, zugleich eine gute Zierde. Sie
verstärken den Begriff von Pracht und breiten eine Art von Belebung um sich her
aus. Und wenn sie hier mit Marmor und Bildhauerwerk verbunden werden, so
kann diese Verzierung noch weniger an einer solchen Stelle getadelt werden, wo rings-
umher in den emporsteigenden Gebäuden die Kunst und Bestrebung des Menschen
sichtbar ist.

Allein nirgends ist der gute Geschmack mehr beleidigt worden, als durch die
Verzierung, die man mit allerley Bildwerk bey Springbrunnen und Wasserkünsten
verschwendete. Man hat das Ueppige und Ungereimte, von den berühmten Cascaden
von St. Cloud und Fontainebleau an bis zu den Spielwerken in den Gärten der
Krämer, nicht weiter treiben können. Daß das Wasser nicht mit Schicklichkeit von
menschlichen Figuren noch von Thieren geworfen werden könne, die auf dem Lande le-
ben, hätte doch dem gemeinsten Verstande einleuchten sollen. Gleichwohl wie viele
grobe Vergehungen! Der Garten der berühmten Villa Estense bey Rom z. B. hat
eine etliche hundert Schritte lange Wasserallee, wo auf beyden Seiten mehr als drey-
hundert Adler, und sogar Blumentöpfe, Wasserstralen ausspritzen. So darf man
auch nur in den Gärten von Versailles die Fontainen der Latone, des Apolls, der
Diana, der Ceres, des Bacchus, und der Flora sehen, um von dieser Seite einen
sehr elenden Geschmack zu bemerken, den selbst alle Pracht nicht verbergen kann. Was
ist abgeschmackter, als Löwen und Rehe neben einander, jene in der Raubbegierde,
diese in der Flucht vorgestellt, auf einmal wie durch ein Wunderwerk verwandelt.
Wasser emporwerfen zu lassen? -- Wenn auch gleich der unbearbeitete Stein eine
Stütze seyn kann, so tritt doch eine offenbare Unschicklichkeit ein, sobald dieser Stein
in die Gestalt eines Fisches, der seiner Natur nach nicht stützen kann, und durch den
Anschein eines unverdienten Leidens eine unangenehme Empfindung erregt, umge-
formt wird. Wie sinnreich man in solchen Verzierungen seyn kann, lehrt die Fontai-
ne der Pyramide in den Gärten zu Versailles, wo gerade auf der obersten Stufe

vier

Vom Waſſer.
tes Thaugeſtoͤber umher verſpritzen; der ſanfte Staubregen gießt Befruchtung und
Verſchoͤnerung aus, und die am naͤchſten ſtehenden Geſchlechter ſehen in dem Spie-
gel des bewegten Beckens verwundernd ihr Haupt hin und her zittern. Die Natur
und die Kunſt ſtimmen hier ſehr wohl in der Bildung eines kleinen reizenden Schau-
ſpiels zuſammen, das zuweilen noch mehr von einfallenden Blicken des Sonnenlichts
gewinnt, und das nahe vor dem Eingang eines Speiſeſaals, vor einem Cabinet dem
Studieren oder der Ruhe gewidmet, mit einer Art von Wolluſt genoſſen
wird.

Auch in den Staͤdten geben hohe Springbrunnen vor Palaͤſten und auf oͤf-
fentlichen Plaͤtzen, mit dem Nutzen des Waſſers, zugleich eine gute Zierde. Sie
verſtaͤrken den Begriff von Pracht und breiten eine Art von Belebung um ſich her
aus. Und wenn ſie hier mit Marmor und Bildhauerwerk verbunden werden, ſo
kann dieſe Verzierung noch weniger an einer ſolchen Stelle getadelt werden, wo rings-
umher in den emporſteigenden Gebaͤuden die Kunſt und Beſtrebung des Menſchen
ſichtbar iſt.

Allein nirgends iſt der gute Geſchmack mehr beleidigt worden, als durch die
Verzierung, die man mit allerley Bildwerk bey Springbrunnen und Waſſerkuͤnſten
verſchwendete. Man hat das Ueppige und Ungereimte, von den beruͤhmten Caſcaden
von St. Cloud und Fontainebleau an bis zu den Spielwerken in den Gaͤrten der
Kraͤmer, nicht weiter treiben koͤnnen. Daß das Waſſer nicht mit Schicklichkeit von
menſchlichen Figuren noch von Thieren geworfen werden koͤnne, die auf dem Lande le-
ben, haͤtte doch dem gemeinſten Verſtande einleuchten ſollen. Gleichwohl wie viele
grobe Vergehungen! Der Garten der beruͤhmten Villa Eſtenſe bey Rom z. B. hat
eine etliche hundert Schritte lange Waſſerallee, wo auf beyden Seiten mehr als drey-
hundert Adler, und ſogar Blumentoͤpfe, Waſſerſtralen ausſpritzen. So darf man
auch nur in den Gaͤrten von Verſailles die Fontainen der Latone, des Apolls, der
Diana, der Ceres, des Bacchus, und der Flora ſehen, um von dieſer Seite einen
ſehr elenden Geſchmack zu bemerken, den ſelbſt alle Pracht nicht verbergen kann. Was
iſt abgeſchmackter, als Loͤwen und Rehe neben einander, jene in der Raubbegierde,
dieſe in der Flucht vorgeſtellt, auf einmal wie durch ein Wunderwerk verwandelt.
Waſſer emporwerfen zu laſſen? — Wenn auch gleich der unbearbeitete Stein eine
Stuͤtze ſeyn kann, ſo tritt doch eine offenbare Unſchicklichkeit ein, ſobald dieſer Stein
in die Geſtalt eines Fiſches, der ſeiner Natur nach nicht ſtuͤtzen kann, und durch den
Anſchein eines unverdienten Leidens eine unangenehme Empfindung erregt, umge-
formt wird. Wie ſinnreich man in ſolchen Verzierungen ſeyn kann, lehrt die Fontai-
ne der Pyramide in den Gaͤrten zu Verſailles, wo gerade auf der oberſten Stufe

vier
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[127/0131] Vom Waſſer. tes Thaugeſtoͤber umher verſpritzen; der ſanfte Staubregen gießt Befruchtung und Verſchoͤnerung aus, und die am naͤchſten ſtehenden Geſchlechter ſehen in dem Spie- gel des bewegten Beckens verwundernd ihr Haupt hin und her zittern. Die Natur und die Kunſt ſtimmen hier ſehr wohl in der Bildung eines kleinen reizenden Schau- ſpiels zuſammen, das zuweilen noch mehr von einfallenden Blicken des Sonnenlichts gewinnt, und das nahe vor dem Eingang eines Speiſeſaals, vor einem Cabinet dem Studieren oder der Ruhe gewidmet, mit einer Art von Wolluſt genoſſen wird. Auch in den Staͤdten geben hohe Springbrunnen vor Palaͤſten und auf oͤf- fentlichen Plaͤtzen, mit dem Nutzen des Waſſers, zugleich eine gute Zierde. Sie verſtaͤrken den Begriff von Pracht und breiten eine Art von Belebung um ſich her aus. Und wenn ſie hier mit Marmor und Bildhauerwerk verbunden werden, ſo kann dieſe Verzierung noch weniger an einer ſolchen Stelle getadelt werden, wo rings- umher in den emporſteigenden Gebaͤuden die Kunſt und Beſtrebung des Menſchen ſichtbar iſt. Allein nirgends iſt der gute Geſchmack mehr beleidigt worden, als durch die Verzierung, die man mit allerley Bildwerk bey Springbrunnen und Waſſerkuͤnſten verſchwendete. Man hat das Ueppige und Ungereimte, von den beruͤhmten Caſcaden von St. Cloud und Fontainebleau an bis zu den Spielwerken in den Gaͤrten der Kraͤmer, nicht weiter treiben koͤnnen. Daß das Waſſer nicht mit Schicklichkeit von menſchlichen Figuren noch von Thieren geworfen werden koͤnne, die auf dem Lande le- ben, haͤtte doch dem gemeinſten Verſtande einleuchten ſollen. Gleichwohl wie viele grobe Vergehungen! Der Garten der beruͤhmten Villa Eſtenſe bey Rom z. B. hat eine etliche hundert Schritte lange Waſſerallee, wo auf beyden Seiten mehr als drey- hundert Adler, und ſogar Blumentoͤpfe, Waſſerſtralen ausſpritzen. So darf man auch nur in den Gaͤrten von Verſailles die Fontainen der Latone, des Apolls, der Diana, der Ceres, des Bacchus, und der Flora ſehen, um von dieſer Seite einen ſehr elenden Geſchmack zu bemerken, den ſelbſt alle Pracht nicht verbergen kann. Was iſt abgeſchmackter, als Loͤwen und Rehe neben einander, jene in der Raubbegierde, dieſe in der Flucht vorgeſtellt, auf einmal wie durch ein Wunderwerk verwandelt. Waſſer emporwerfen zu laſſen? — Wenn auch gleich der unbearbeitete Stein eine Stuͤtze ſeyn kann, ſo tritt doch eine offenbare Unſchicklichkeit ein, ſobald dieſer Stein in die Geſtalt eines Fiſches, der ſeiner Natur nach nicht ſtuͤtzen kann, und durch den Anſchein eines unverdienten Leidens eine unangenehme Empfindung erregt, umge- formt wird. Wie ſinnreich man in ſolchen Verzierungen ſeyn kann, lehrt die Fontai- ne der Pyramide in den Gaͤrten zu Verſailles, wo gerade auf der oberſten Stufe vier

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 2. Leipzig, 1780, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst2_1780/131>, abgerufen am 29.04.2024.