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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten
das Weltmeer an einem ruhigen Sommerabend. Westwärts war die einförmige
Kette der Gebirge des Jura abgelegenen Küsten ähnlich; hin und wieder erhoben
Berge ihre Gipfel, wie Inseln. Einige waren mit vielen Heerden bedeckt, welche
bald in das Meer herab, und bald aus demselben emporgestiegen kamen; andere In-
seln schienen öde, verschiedene scheußlich, wie die im Oberon. Die untergehende
Sonne warf nach und nach auf dieses Meer alle Farben der Morgenröthe; unmerk-
bare Schatten milderten den hohen Glanz. Jede Wolke, die durch den Wind aus
dem Gebirge herbeygeführt wurde, sank wie Sand, und nahm ihre Stelle ein. Eine
halbe Stunde bey dem hellesten Himmel dauerte dieses Schauspiel, als plötzlich das
Meer sich an vielen Orten aufthat, und anstatt ungeheurer Wunder eine große Menge
Schlösser, Städte, Flecken und Auen entdeckte.

Eine andere romantische und überaus prächtige Abendscene der Schweitz wer-
den die kennen, die auf den Höhen um Bern die Malerey des untergehenden Lichts
auf den Eisbergen zu beobachten Gelegenheit gehabt haben.

Dort streckt das Wetterhorn den nie beflognen Gipfel
Durch einen dünnen Wolkenkranz;
Bestrahlt mit rosenfarbnem Glanz
Beschämt sein graues Haupt, das Schnee und Purpur schmücken,
Gemeiner Berge blauen Rücken.
v. Haller.
Allein es ist nicht blos das Wetterhorn, sondern auch das Schreckhorn und andere
erstaunliche Spitzen der obersten Alpen, die in einer langen Kette von vielen Meilen
sich fortstrecken, und sich über den blauen Rücken der niedrigen Gebirge, die vor ihnen
liegen, erheben. Diese große Strecke von Gebirgen, die mit ewigem Schnee bedeckt
sind, schmückt sich, wie der Dichter sagt, mit rosenfarbnem Glanz und Purpur, wenn
die Sonne bereits nicht mehr am Horizonte sichtbar ist. Weit umher schimmern
zuerst die beschneyten Spitzen von einem heitern Abendglanz. Bald darauf ergreift
die Natur die höchsten Purpurfarben, und ummalet einige Minuten lang die obersten
Gipfel; alle ihre stärker erleuchteten Abhänge fangen an mit zu glänzen, bis die ganze
Strecke der Gebirge und der Schneemassen in lauter Strahlen schwimmt. Nach ei-
nigen Augenblicken, da dieses alle Beschreibung übertreffende Schauspiel die Augen
entzückt, erblasset der Purpur, und eine gemilderte Rosenfarbe nimmt seine Stelle ein.
Allmälig erbleichet auch diese in ein sanftes Violet, das hin und wieder noch mit glim-
mendem Roth durchwebt ist. Das Violet verdunkelt sich immer tiefer, und ver-

schwindet

Dritter Abſchnitt. Gaͤrten
das Weltmeer an einem ruhigen Sommerabend. Weſtwaͤrts war die einfoͤrmige
Kette der Gebirge des Jura abgelegenen Kuͤſten aͤhnlich; hin und wieder erhoben
Berge ihre Gipfel, wie Inſeln. Einige waren mit vielen Heerden bedeckt, welche
bald in das Meer herab, und bald aus demſelben emporgeſtiegen kamen; andere In-
ſeln ſchienen oͤde, verſchiedene ſcheußlich, wie die im Oberon. Die untergehende
Sonne warf nach und nach auf dieſes Meer alle Farben der Morgenroͤthe; unmerk-
bare Schatten milderten den hohen Glanz. Jede Wolke, die durch den Wind aus
dem Gebirge herbeygefuͤhrt wurde, ſank wie Sand, und nahm ihre Stelle ein. Eine
halbe Stunde bey dem helleſten Himmel dauerte dieſes Schauſpiel, als ploͤtzlich das
Meer ſich an vielen Orten aufthat, und anſtatt ungeheurer Wunder eine große Menge
Schloͤſſer, Staͤdte, Flecken und Auen entdeckte.

Eine andere romantiſche und uͤberaus praͤchtige Abendſcene der Schweitz wer-
den die kennen, die auf den Hoͤhen um Bern die Malerey des untergehenden Lichts
auf den Eisbergen zu beobachten Gelegenheit gehabt haben.

Dort ſtreckt das Wetterhorn den nie beflognen Gipfel
Durch einen duͤnnen Wolkenkranz;
Beſtrahlt mit roſenfarbnem Glanz
Beſchaͤmt ſein graues Haupt, das Schnee und Purpur ſchmuͤcken,
Gemeiner Berge blauen Ruͤcken.
v. Haller.
Allein es iſt nicht blos das Wetterhorn, ſondern auch das Schreckhorn und andere
erſtaunliche Spitzen der oberſten Alpen, die in einer langen Kette von vielen Meilen
ſich fortſtrecken, und ſich uͤber den blauen Ruͤcken der niedrigen Gebirge, die vor ihnen
liegen, erheben. Dieſe große Strecke von Gebirgen, die mit ewigem Schnee bedeckt
ſind, ſchmuͤckt ſich, wie der Dichter ſagt, mit roſenfarbnem Glanz und Purpur, wenn
die Sonne bereits nicht mehr am Horizonte ſichtbar iſt. Weit umher ſchimmern
zuerſt die beſchneyten Spitzen von einem heitern Abendglanz. Bald darauf ergreift
die Natur die hoͤchſten Purpurfarben, und ummalet einige Minuten lang die oberſten
Gipfel; alle ihre ſtaͤrker erleuchteten Abhaͤnge fangen an mit zu glaͤnzen, bis die ganze
Strecke der Gebirge und der Schneemaſſen in lauter Strahlen ſchwimmt. Nach ei-
nigen Augenblicken, da dieſes alle Beſchreibung uͤbertreffende Schauſpiel die Augen
entzuͤckt, erblaſſet der Purpur, und eine gemilderte Roſenfarbe nimmt ſeine Stelle ein.
Allmaͤlig erbleichet auch dieſe in ein ſanftes Violet, das hin und wieder noch mit glim-
mendem Roth durchwebt iſt. Das Violet verdunkelt ſich immer tiefer, und ver-

ſchwindet
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[106/0110] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten das Weltmeer an einem ruhigen Sommerabend. Weſtwaͤrts war die einfoͤrmige Kette der Gebirge des Jura abgelegenen Kuͤſten aͤhnlich; hin und wieder erhoben Berge ihre Gipfel, wie Inſeln. Einige waren mit vielen Heerden bedeckt, welche bald in das Meer herab, und bald aus demſelben emporgeſtiegen kamen; andere In- ſeln ſchienen oͤde, verſchiedene ſcheußlich, wie die im Oberon. Die untergehende Sonne warf nach und nach auf dieſes Meer alle Farben der Morgenroͤthe; unmerk- bare Schatten milderten den hohen Glanz. Jede Wolke, die durch den Wind aus dem Gebirge herbeygefuͤhrt wurde, ſank wie Sand, und nahm ihre Stelle ein. Eine halbe Stunde bey dem helleſten Himmel dauerte dieſes Schauſpiel, als ploͤtzlich das Meer ſich an vielen Orten aufthat, und anſtatt ungeheurer Wunder eine große Menge Schloͤſſer, Staͤdte, Flecken und Auen entdeckte. Eine andere romantiſche und uͤberaus praͤchtige Abendſcene der Schweitz wer- den die kennen, die auf den Hoͤhen um Bern die Malerey des untergehenden Lichts auf den Eisbergen zu beobachten Gelegenheit gehabt haben. Dort ſtreckt das Wetterhorn den nie beflognen Gipfel Durch einen duͤnnen Wolkenkranz; Beſtrahlt mit roſenfarbnem Glanz Beſchaͤmt ſein graues Haupt, das Schnee und Purpur ſchmuͤcken, Gemeiner Berge blauen Ruͤcken. v. Haller. Allein es iſt nicht blos das Wetterhorn, ſondern auch das Schreckhorn und andere erſtaunliche Spitzen der oberſten Alpen, die in einer langen Kette von vielen Meilen ſich fortſtrecken, und ſich uͤber den blauen Ruͤcken der niedrigen Gebirge, die vor ihnen liegen, erheben. Dieſe große Strecke von Gebirgen, die mit ewigem Schnee bedeckt ſind, ſchmuͤckt ſich, wie der Dichter ſagt, mit roſenfarbnem Glanz und Purpur, wenn die Sonne bereits nicht mehr am Horizonte ſichtbar iſt. Weit umher ſchimmern zuerſt die beſchneyten Spitzen von einem heitern Abendglanz. Bald darauf ergreift die Natur die hoͤchſten Purpurfarben, und ummalet einige Minuten lang die oberſten Gipfel; alle ihre ſtaͤrker erleuchteten Abhaͤnge fangen an mit zu glaͤnzen, bis die ganze Strecke der Gebirge und der Schneemaſſen in lauter Strahlen ſchwimmt. Nach ei- nigen Augenblicken, da dieſes alle Beſchreibung uͤbertreffende Schauſpiel die Augen entzuͤckt, erblaſſet der Purpur, und eine gemilderte Roſenfarbe nimmt ſeine Stelle ein. Allmaͤlig erbleichet auch dieſe in ein ſanftes Violet, das hin und wieder noch mit glim- mendem Roth durchwebt iſt. Das Violet verdunkelt ſich immer tiefer, und ver- ſchwindet

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/110>, abgerufen am 30.04.2024.