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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Erster Anhang.

Die Gebäude des Carlsberges sind, im Ganzen betrachtet, von guter
Architectur. Der Tempel des Mercur ist, wie bereits gesagt, mehr im
antiken Geschmack. Der Tempel des Apollo zeigt sich im Prospect auf seiner
Höhe, und hat eine überaus entzückende Aussicht. Er ist inwendig mit Bil-
dern geziert, die auf die Geschäfte des Gottes anspielen, und seine Statue erscheint
hier in colossalischer Größe. Aber er ist nicht sowohl ein alter Tempel, als viel-
mehr ein hoher, gut gebaueter Pavillon. Er ist von Holz, hat vier große Oeff-
nungen, und ein rundes Dach. Der Weg hinauf ist in der alten Manier der
Schneckenberge angelegt, ermüdend und von dunklen Tannenhecken eingesperrt.
Dieß Gebäude verlangt doch allerdings eine freye und edle Pflanzung um sich her.
Die auf Bretern gemalten Musen sind desto mehr entbehrlich, da die Statue des
Apoll beym Hinaufsteigen zwischen den großen Oeffnungen des Gebäudes hervor-
scheint und ganz das Auge beschäftigt. Der Tempel der Minerva ist nichts
anders, als ein französischer Pavillon mit vergänglichem Gitterwerk, gegen die
Bauart der Alten, freystehend mit großen Oeffnungen und einem runden
Dach. In eben der Form und Bauart, als der Tempel des Apoll, ist der
Tempel der Calypso; diese Wiederholung scheint eine Dürftigkeit der Erfindung
zu verrathen, die hier doch sonst nirgends sichtbar ist. Die Höhle der Sibylle
ist tief, dunkel, feyerlichfurchtbar, wie es sich für eine Wahrsagerinn schicket, die
in der Nacht der Zukunft forscht, und mit Schicksalen schreckt, die noch nicht herein-
gebrochen sind.

Uebrigens sind die neuen Anlagen auf dem Carlsberg noch keiner voll-
ständigen Beschreibung fähig, da sie noch immer fortgesetzt werden und so
mancher Abänderung unterworfen sind. Indessen ist es doch der Ort, wo die
Wirksamkeit dieser Regierung in Gartenverschönerungen fast allein sichtbar ist;
die übrigen casselschen Hofgärten sind mehr sich überlassen oder dem vorigen
französischen und holländischen Geschmack, der noch in ihnen herrscht. Alle,
die den Carlsberg mit so vielem Vergnügen besteigen, finden hier mannichfaltige
Veranlassungen den erfinderischen und thätigen Geist des Fürsten zu verehren,
der so viele neue, zum Theil noch unbekannte Anlagen schuf, der seine Residenz
nicht bloß verschönerte, sondern sie auch zu einer Wohnung der edlern Künste
weihete, der, selbst ein großer Kenner, selbst ein guter Zeichner, mit dem glücklichsten
Gedächtniß viel nützliche Wissenschaften vereinigt.

Weißenstein, am Fuß des Carlsbergs, der Aufenthalt des Hofes, ist
ein altes Schloß, das aus einem ehemaligen Kloster entstand; indessen hat es durch

einige
Erſter Anhang.

Die Gebaͤude des Carlsberges ſind, im Ganzen betrachtet, von guter
Architectur. Der Tempel des Mercur iſt, wie bereits geſagt, mehr im
antiken Geſchmack. Der Tempel des Apollo zeigt ſich im Proſpect auf ſeiner
Hoͤhe, und hat eine uͤberaus entzuͤckende Ausſicht. Er iſt inwendig mit Bil-
dern geziert, die auf die Geſchaͤfte des Gottes anſpielen, und ſeine Statue erſcheint
hier in coloſſaliſcher Groͤße. Aber er iſt nicht ſowohl ein alter Tempel, als viel-
mehr ein hoher, gut gebaueter Pavillon. Er iſt von Holz, hat vier große Oeff-
nungen, und ein rundes Dach. Der Weg hinauf iſt in der alten Manier der
Schneckenberge angelegt, ermuͤdend und von dunklen Tannenhecken eingeſperrt.
Dieß Gebaͤude verlangt doch allerdings eine freye und edle Pflanzung um ſich her.
Die auf Bretern gemalten Muſen ſind deſto mehr entbehrlich, da die Statue des
Apoll beym Hinaufſteigen zwiſchen den großen Oeffnungen des Gebaͤudes hervor-
ſcheint und ganz das Auge beſchaͤftigt. Der Tempel der Minerva iſt nichts
anders, als ein franzoͤſiſcher Pavillon mit vergaͤnglichem Gitterwerk, gegen die
Bauart der Alten, freyſtehend mit großen Oeffnungen und einem runden
Dach. In eben der Form und Bauart, als der Tempel des Apoll, iſt der
Tempel der Calypſo; dieſe Wiederholung ſcheint eine Duͤrftigkeit der Erfindung
zu verrathen, die hier doch ſonſt nirgends ſichtbar iſt. Die Hoͤhle der Sibylle
iſt tief, dunkel, feyerlichfurchtbar, wie es ſich fuͤr eine Wahrſagerinn ſchicket, die
in der Nacht der Zukunft forſcht, und mit Schickſalen ſchreckt, die noch nicht herein-
gebrochen ſind.

Uebrigens ſind die neuen Anlagen auf dem Carlsberg noch keiner voll-
ſtaͤndigen Beſchreibung faͤhig, da ſie noch immer fortgeſetzt werden und ſo
mancher Abaͤnderung unterworfen ſind. Indeſſen iſt es doch der Ort, wo die
Wirkſamkeit dieſer Regierung in Gartenverſchoͤnerungen faſt allein ſichtbar iſt;
die uͤbrigen caſſelſchen Hofgaͤrten ſind mehr ſich uͤberlaſſen oder dem vorigen
franzoͤſiſchen und hollaͤndiſchen Geſchmack, der noch in ihnen herrſcht. Alle,
die den Carlsberg mit ſo vielem Vergnuͤgen beſteigen, finden hier mannichfaltige
Veranlaſſungen den erfinderiſchen und thaͤtigen Geiſt des Fuͤrſten zu verehren,
der ſo viele neue, zum Theil noch unbekannte Anlagen ſchuf, der ſeine Reſidenz
nicht bloß verſchoͤnerte, ſondern ſie auch zu einer Wohnung der edlern Kuͤnſte
weihete, der, ſelbſt ein großer Kenner, ſelbſt ein guter Zeichner, mit dem gluͤcklichſten
Gedaͤchtniß viel nuͤtzliche Wiſſenſchaften vereinigt.

Weißenſtein, am Fuß des Carlsbergs, der Aufenthalt des Hofes, iſt
ein altes Schloß, das aus einem ehemaligen Kloſter entſtand; indeſſen hat es durch

einige
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[238/0246] Erſter Anhang. Die Gebaͤude des Carlsberges ſind, im Ganzen betrachtet, von guter Architectur. Der Tempel des Mercur iſt, wie bereits geſagt, mehr im antiken Geſchmack. Der Tempel des Apollo zeigt ſich im Proſpect auf ſeiner Hoͤhe, und hat eine uͤberaus entzuͤckende Ausſicht. Er iſt inwendig mit Bil- dern geziert, die auf die Geſchaͤfte des Gottes anſpielen, und ſeine Statue erſcheint hier in coloſſaliſcher Groͤße. Aber er iſt nicht ſowohl ein alter Tempel, als viel- mehr ein hoher, gut gebaueter Pavillon. Er iſt von Holz, hat vier große Oeff- nungen, und ein rundes Dach. Der Weg hinauf iſt in der alten Manier der Schneckenberge angelegt, ermuͤdend und von dunklen Tannenhecken eingeſperrt. Dieß Gebaͤude verlangt doch allerdings eine freye und edle Pflanzung um ſich her. Die auf Bretern gemalten Muſen ſind deſto mehr entbehrlich, da die Statue des Apoll beym Hinaufſteigen zwiſchen den großen Oeffnungen des Gebaͤudes hervor- ſcheint und ganz das Auge beſchaͤftigt. Der Tempel der Minerva iſt nichts anders, als ein franzoͤſiſcher Pavillon mit vergaͤnglichem Gitterwerk, gegen die Bauart der Alten, freyſtehend mit großen Oeffnungen und einem runden Dach. In eben der Form und Bauart, als der Tempel des Apoll, iſt der Tempel der Calypſo; dieſe Wiederholung ſcheint eine Duͤrftigkeit der Erfindung zu verrathen, die hier doch ſonſt nirgends ſichtbar iſt. Die Hoͤhle der Sibylle iſt tief, dunkel, feyerlichfurchtbar, wie es ſich fuͤr eine Wahrſagerinn ſchicket, die in der Nacht der Zukunft forſcht, und mit Schickſalen ſchreckt, die noch nicht herein- gebrochen ſind. Uebrigens ſind die neuen Anlagen auf dem Carlsberg noch keiner voll- ſtaͤndigen Beſchreibung faͤhig, da ſie noch immer fortgeſetzt werden und ſo mancher Abaͤnderung unterworfen ſind. Indeſſen iſt es doch der Ort, wo die Wirkſamkeit dieſer Regierung in Gartenverſchoͤnerungen faſt allein ſichtbar iſt; die uͤbrigen caſſelſchen Hofgaͤrten ſind mehr ſich uͤberlaſſen oder dem vorigen franzoͤſiſchen und hollaͤndiſchen Geſchmack, der noch in ihnen herrſcht. Alle, die den Carlsberg mit ſo vielem Vergnuͤgen beſteigen, finden hier mannichfaltige Veranlaſſungen den erfinderiſchen und thaͤtigen Geiſt des Fuͤrſten zu verehren, der ſo viele neue, zum Theil noch unbekannte Anlagen ſchuf, der ſeine Reſidenz nicht bloß verſchoͤnerte, ſondern ſie auch zu einer Wohnung der edlern Kuͤnſte weihete, der, ſelbſt ein großer Kenner, ſelbſt ein guter Zeichner, mit dem gluͤcklichſten Gedaͤchtniß viel nuͤtzliche Wiſſenſchaften vereinigt. Weißenſtein, am Fuß des Carlsbergs, der Aufenthalt des Hofes, iſt ein altes Schloß, das aus einem ehemaligen Kloſter entſtand; indeſſen hat es durch einige

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/246>, abgerufen am 29.04.2024.