Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Van't Hoff, Jakobus Heinrich: Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. Berlin, 1911.

Bild:
<< vorherige Seite

Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. 13


größere Arbeit mit Quincke geplant. Nach einem Aufenthalt in Karlsbad,
wo ihn eine Rippenfellentzündung überfiel, schien er, der in der Akademie
öfters mein Nachbar war, mir aber nicht mehr der Frühere, war auch auf-
fallend kurzatmig. Die Versuche mit Quincke wurden, weil die Aussicht
doch zu unsicher schien, nicht aufgenommen. Dann aber übertrug er auch
seine sämtlichen Apparate dem Sohne und Enkel und stellte die experi-
mentelle Arbeit ganz ein.
Noch am 7. März, einem Montag, acht Tage vor dem Ableben, arbei-
tete Landolt ununterbrochen von 1/210 bis 2 Uhr, als er nachmittags
plötzlich einen Erstickungsanfall erlitt, der sich am Abend wiederholte.
Der Arzt befürchtete sofort das Schlimmste. Die bösen Anfälle wieder-
holten sich, Herzwirkung und Nieren versagten ganz und vergifteten den
armen Körper, der von Schmerzen geschüttelt wurde trotz Morphium.
Es waren Tage der Qual und Angst. Er klagte, warum, um zu sterben,
er so leiden müßte, wollte aber mehrmals keine Morphiuminjektion, um
mit seinem jüngsten Enkel (Erich Liebreich) über das, was an seiner
Arbeit noch fehlte, zu sprechen, diktierte noch einiges, erklärte, in wel-
chen Fächern noch Teile der Arbeit lägen, wurde dann aber ganz bewußtlos,
litt und stöhnte dennoch. In der Nacht zum 15. März begann die Agonie,
und er starb morgens 3 Uhr, keinen von den Seinigen mehr erkennend.
Eine Trauerfeier fand in Wilmersdorf statt an einem unfreundlichen
Frühlingstag, aber in der kleinen Kirche lebte nochmals das warme, freund-
liche Mitempfinden auf, das Landolt immer um sich geweckt hatte, und
fand in manchem vom Herzen kommenden Wort Ausdruck. Die Akademie
beteiligte sich nach angenommenem Brauch durch einen stillen Kranz.
Indessen dies sollte nicht der endgültige Abschied sein. Landolts
letzter Wille war anders: Bonn, wo der Rhein an die Schweizer Heimat
erinnert, gleichzeitig eins der schönsten Fleckchen Erde auf deutscher
Erde, wo Landolt seine erste Lebensstellung und seine Lebensgefährtin
fand, Bonn sollte auch die letzte Ruhestätte sein.




Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. II. 3

Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. 13


größere Arbeit mit Quincke geplant. Nach einem Aufenthalt in Karlsbad,
wo ihn eine Rippenfellentzündung überfiel, schien er, der in der Akademie
öfters mein Nachbar war, mir aber nicht mehr der Frühere, war auch auf-
fallend kurzatmig. Die Versuche mit Quincke wurden, weil die Aussicht
doch zu unsicher schien, nicht aufgenommen. Dann aber übertrug er auch
seine sämtlichen Apparate dem Sohne und Enkel und stellte die experi-
mentelle Arbeit ganz ein.
Noch am 7. März, einem Montag, acht Tage vor dem Ableben, arbei-
tete Landolt ununterbrochen von ½10 bis 2 Uhr, als er nachmittags
plötzlich einen Erstickungsanfall erlitt, der sich am Abend wiederholte.
Der Arzt befürchtete sofort das Schlimmste. Die bösen Anfälle wieder-
holten sich, Herzwirkung und Nieren versagten ganz und vergifteten den
armen Körper, der von Schmerzen geschüttelt wurde trotz Morphium.
Es waren Tage der Qual und Angst. Er klagte, warum, um zu sterben,
er so leiden müßte, wollte aber mehrmals keine Morphiuminjektion, um
mit seinem jüngsten Enkel (Erich Liebreich) über das, was an seiner
Arbeit noch fehlte, zu sprechen, diktierte noch einiges, erklärte, in wel-
chen Fächern noch Teile der Arbeit lägen, wurde dann aber ganz bewußtlos,
litt und stöhnte dennoch. In der Nacht zum 15. März begann die Agonie,
und er starb morgens 3 Uhr, keinen von den Seinigen mehr erkennend.
Eine Trauerfeier fand in Wilmersdorf statt an einem unfreundlichen
Frühlingstag, aber in der kleinen Kirche lebte nochmals das warme, freund-
liche Mitempfinden auf, das Landolt immer um sich geweckt hatte, und
fand in manchem vom Herzen kommenden Wort Ausdruck. Die Akademie
beteiligte sich nach angenommenem Brauch durch einen stillen Kranz.
Indessen dies sollte nicht der endgültige Abschied sein. Landolts
letzter Wille war anders: Bonn, wo der Rhein an die Schweizer Heimat
erinnert, gleichzeitig eins der schönsten Fleckchen Erde auf deutscher
Erde, wo Landolt seine erste Lebensstellung und seine Lebensgefährtin
fand, Bonn sollte auch die letzte Ruhestätte sein.




Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. II. 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <pb facs="#f0015" n="15"/>
        <fw type="header" place="top"><lb/>
Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. 13</fw>
        <p><lb/>
größere Arbeit mit Quincke geplant. Nach einem Aufenthalt in Karlsbad,<lb/>
wo ihn eine Rippenfellentzündung überfiel, schien er, der in der Akademie<lb/>
öfters mein Nachbar war, mir aber nicht mehr der Frühere, war auch auf-<lb/>
fallend kurzatmig. Die Versuche mit Quincke wurden, weil die Aussicht<lb/>
doch zu unsicher schien, nicht aufgenommen. Dann aber übertrug er auch<lb/>
seine sämtlichen Apparate dem Sohne und Enkel und stellte die experi-<lb/>
mentelle Arbeit ganz ein.<lb/>
Noch am 7. März, einem Montag, acht Tage vor dem Ableben, arbei-<lb/>
tete Landolt ununterbrochen von ½10 bis 2 Uhr, als er nachmittags<lb/>
plötzlich einen Erstickungsanfall erlitt, der sich am Abend wiederholte.<lb/>
Der Arzt befürchtete sofort das Schlimmste. Die bösen Anfälle wieder-<lb/>
holten sich, Herzwirkung und Nieren versagten ganz und vergifteten den<lb/>
armen Körper, der von Schmerzen geschüttelt wurde trotz Morphium.<lb/>
Es waren Tage der Qual und Angst. Er klagte, warum, um zu sterben,<lb/>
er so leiden müßte, wollte aber mehrmals keine Morphiuminjektion, um<lb/>
mit seinem jüngsten Enkel (Erich Liebreich) über das, was an seiner<lb/>
Arbeit noch fehlte, zu sprechen, diktierte noch einiges, erklärte, in wel-<lb/>
chen Fächern noch Teile der Arbeit lägen, wurde dann aber ganz bewußtlos,<lb/>
litt und stöhnte dennoch. In der Nacht zum 15. März begann die Agonie,<lb/>
und er starb morgens 3 Uhr, keinen von den Seinigen mehr erkennend.<lb/>
Eine Trauerfeier fand in Wilmersdorf statt an einem unfreundlichen<lb/>
Frühlingstag, aber in der kleinen Kirche lebte nochmals das warme, freund-<lb/>
liche Mitempfinden auf, das Landolt immer um sich geweckt hatte, und<lb/>
fand in manchem vom Herzen kommenden Wort Ausdruck. Die Akademie<lb/>
beteiligte sich nach angenommenem Brauch durch einen stillen Kranz.<lb/>
Indessen dies sollte nicht der endgültige Abschied sein. Landolts<lb/>
letzter Wille war anders: Bonn, wo der Rhein an die Schweizer Heimat<lb/>
erinnert, gleichzeitig eins der schönsten Fleckchen Erde auf deutscher<lb/>
Erde, wo Landolt seine erste Lebensstellung und seine Lebensgefährtin<lb/>
fand, Bonn sollte auch die letzte Ruhestätte sein.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      <fw type="sig" place="bottom"><lb/>
Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. II. 3</fw>
    </body>
    <back>
</back>
  </text>
</TEI>
[15/0015] Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. 13 größere Arbeit mit Quincke geplant. Nach einem Aufenthalt in Karlsbad, wo ihn eine Rippenfellentzündung überfiel, schien er, der in der Akademie öfters mein Nachbar war, mir aber nicht mehr der Frühere, war auch auf- fallend kurzatmig. Die Versuche mit Quincke wurden, weil die Aussicht doch zu unsicher schien, nicht aufgenommen. Dann aber übertrug er auch seine sämtlichen Apparate dem Sohne und Enkel und stellte die experi- mentelle Arbeit ganz ein. Noch am 7. März, einem Montag, acht Tage vor dem Ableben, arbei- tete Landolt ununterbrochen von ½10 bis 2 Uhr, als er nachmittags plötzlich einen Erstickungsanfall erlitt, der sich am Abend wiederholte. Der Arzt befürchtete sofort das Schlimmste. Die bösen Anfälle wieder- holten sich, Herzwirkung und Nieren versagten ganz und vergifteten den armen Körper, der von Schmerzen geschüttelt wurde trotz Morphium. Es waren Tage der Qual und Angst. Er klagte, warum, um zu sterben, er so leiden müßte, wollte aber mehrmals keine Morphiuminjektion, um mit seinem jüngsten Enkel (Erich Liebreich) über das, was an seiner Arbeit noch fehlte, zu sprechen, diktierte noch einiges, erklärte, in wel- chen Fächern noch Teile der Arbeit lägen, wurde dann aber ganz bewußtlos, litt und stöhnte dennoch. In der Nacht zum 15. März begann die Agonie, und er starb morgens 3 Uhr, keinen von den Seinigen mehr erkennend. Eine Trauerfeier fand in Wilmersdorf statt an einem unfreundlichen Frühlingstag, aber in der kleinen Kirche lebte nochmals das warme, freund- liche Mitempfinden auf, das Landolt immer um sich geweckt hatte, und fand in manchem vom Herzen kommenden Wort Ausdruck. Die Akademie beteiligte sich nach angenommenem Brauch durch einen stillen Kranz. Indessen dies sollte nicht der endgültige Abschied sein. Landolts letzter Wille war anders: Bonn, wo der Rhein an die Schweizer Heimat erinnert, gleichzeitig eins der schönsten Fleckchen Erde auf deutscher Erde, wo Landolt seine erste Lebensstellung und seine Lebensgefährtin fand, Bonn sollte auch die letzte Ruhestätte sein. Phys.-math. Klasse. 1910. Gedächtnisr. II. 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Digitalisate und OCR. (2020-03-03T12:13:05Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, OCR-D: Bearbeitung der digitalen Edition. (2020-03-04T12:13:05Z)

Weitere Informationen:

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: ignoriert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;
  • I/J in Fraktur: wie Vorlage;
  • i/j in Fraktur: wie Vorlage;
  • Kolumnentitel: nicht übernommen;
  • Kustoden: nicht übernommen;
  • langes s (ſ): wie Vorlage;
  • Normalisierungen: keine;
  • rundes r (ꝛ): wie Vorlage;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: wie Vorlage;
  • u/v bzw. U/V: wie Vorlage;
  • Vokale mit übergest. e: wie Vorlage;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
  • Zeilenumbrüche markiert: ja;



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoff_landolt_1911
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoff_landolt_1911/15
Zitationshilfe: Van't Hoff, Jakobus Heinrich: Gedächtnisrede auf Hans Heinrich Landolt. Berlin, 1911, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoff_landolt_1911/15>, abgerufen am 27.04.2024.