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[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816.

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Maler stand neben mir, aber ernst und mild,
so wie er mir im Kerker erschien. -- Kein ir¬
discher Schmerz über Aureliens Tod, kein Ent¬
setzen über die Erscheinung des Malers konnte
mich fassen, denn in meiner Seele dämmerte
es auf, wie nun die räthselhaften Schlingen,
die die dunkle Macht geknüpft, sich lösten.

Mirakel, Mirakel schrie das Volk immer
fort: Seht ihr wohl den alten Mann im vio¬
letten Mantel? -- der ist aus dem Bilde des
Hochaltars herabgestiegen -- ich habe es gese¬
hen -- ich auch, ich auch -- riefen mehrere Stim¬
men
durch einander und nun stürzte Alles auf
die Knie nieder und das verworrene Getümmel
verbrauste und ging über in ein von heftigem
Schluchzen und Weinen unterbrochenes Ge¬
murmel des Gebets. Die Aebtissin erwachte
aus der Ohnmacht, und sprach mit dem herz¬
zerschneidenden Ton des tiefen, gewaltigen
Schmerzes: "Aurelie! -- mein Kind! -- mei¬
ne fromme Tochter! -- ewiger Gott -- es
ist Dein Rathschluß!" -- Man hatte eine

II. [ 23 ]

Maler ſtand neben mir, aber ernſt und mild,
ſo wie er mir im Kerker erſchien. — Kein ir¬
diſcher Schmerz uͤber Aureliens Tod, kein Ent¬
ſetzen uͤber die Erſcheinung des Malers konnte
mich faſſen, denn in meiner Seele daͤmmerte
es auf, wie nun die raͤthſelhaften Schlingen,
die die dunkle Macht geknuͤpft, ſich loͤſten.

Mirakel, Mirakel ſchrie das Volk immer
fort: Seht ihr wohl den alten Mann im vio¬
letten Mantel? — der iſt aus dem Bilde des
Hochaltars herabgeſtiegen — ich habe es geſe¬
hen — ich auch, ich auch — riefen mehrere Stim¬
men
durch einander und nun ſtuͤrzte Alles auf
die Knie nieder und das verworrene Getuͤmmel
verbrauſte und ging uͤber in ein von heftigem
Schluchzen und Weinen unterbrochenes Ge¬
murmel des Gebets. Die Aebtiſſin erwachte
aus der Ohnmacht, und ſprach mit dem herz¬
zerſchneidenden Ton des tiefen, gewaltigen
Schmerzes: „Aurelie! — mein Kind! — mei¬
ne fromme Tochter! — ewiger Gott — es
iſt Dein Rathſchluß!“ — Man hatte eine

II. [ 23 ]
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[353/0361] Maler ſtand neben mir, aber ernſt und mild, ſo wie er mir im Kerker erſchien. — Kein ir¬ diſcher Schmerz uͤber Aureliens Tod, kein Ent¬ ſetzen uͤber die Erſcheinung des Malers konnte mich faſſen, denn in meiner Seele daͤmmerte es auf, wie nun die raͤthſelhaften Schlingen, die die dunkle Macht geknuͤpft, ſich loͤſten. Mirakel, Mirakel ſchrie das Volk immer fort: Seht ihr wohl den alten Mann im vio¬ letten Mantel? — der iſt aus dem Bilde des Hochaltars herabgeſtiegen — ich habe es geſe¬ hen — ich auch, ich auch — riefen mehrere Stim¬ men durch einander und nun ſtuͤrzte Alles auf die Knie nieder und das verworrene Getuͤmmel verbrauſte und ging uͤber in ein von heftigem Schluchzen und Weinen unterbrochenes Ge¬ murmel des Gebets. Die Aebtiſſin erwachte aus der Ohnmacht, und ſprach mit dem herz¬ zerſchneidenden Ton des tiefen, gewaltigen Schmerzes: „Aurelie! — mein Kind! — mei¬ ne fromme Tochter! — ewiger Gott — es iſt Dein Rathſchluß!“ — Man hatte eine II. [ 23 ]

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/361>, abgerufen am 29.04.2024.