Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816.

Bild:
<< vorherige Seite

der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann,
mit weißem krausen Bart, in einem violetten
Mantel, schritt heraus; ich war sehr erschrok¬
ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann
ein drohendes Gespenst seyn mußte, da die
Klosterpforten fest verschlossen waren, mit¬
hin kein Fremder eindringen konnte; aber
Leonardus schaute ihn keck an, jedoch ohne
ein Wort zu sagen. "Die Stunde der Er¬
füllung ist nicht mehr fern, sprach die Ge¬
stalt sehr dumpf und feierlich, und verschwand
in dem dunklen Gange, so daß meine Bangig¬
keit noch stärker wurde und ich schier hätte
die Kerze aus der zitternden Hand fallen las¬
sen mögen. Aber der Prior, der, ob seiner
Frömmigkeit und Stärke im Glauben, nach
Gespenstern nicht viel frägt, faßte mich beim
Arm und sagte: nun wollen wir in die Zelle
des Bruders Medardus treten. Das ge¬
schah denn auch. Wir fanden den Bruder,
der schon seit einiger Zeit sehr schwach wor¬
den, im Sterben, der Tod hatte ihm die
Zunge gebunden, er röchelte nur noch was
weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich

der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann,
mit weißem krauſen Bart, in einem violetten
Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬
ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann
ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die
Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬
hin kein Fremder eindringen konnte; aber
Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne
ein Wort zu ſagen. „Die Stunde der Er¬
fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬
ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand
in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬
keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte
die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬
ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner
Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach
Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim
Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle
des Bruders Medardus treten. Das ge¬
ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder,
der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬
den, im Sterben, der Tod hatte ihm die
Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was
weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0379" n="371"/>
der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann,<lb/>
mit weißem krau&#x017F;en Bart, in einem violetten<lb/>
Mantel, &#x017F;chritt heraus; ich war &#x017F;ehr er&#x017F;chrok¬<lb/>
ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann<lb/>
ein drohendes Ge&#x017F;pen&#x017F;t &#x017F;eyn mußte, da die<lb/>
Klo&#x017F;terpforten fe&#x017F;t ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en waren, mit¬<lb/>
hin kein Fremder eindringen konnte; aber<lb/>
Leonardus &#x017F;chaute ihn keck an, jedoch ohne<lb/>
ein Wort zu &#x017F;agen. &#x201E;Die Stunde der Er¬<lb/>
fu&#x0364;llung i&#x017F;t nicht mehr fern, &#x017F;prach die Ge¬<lb/>
&#x017F;talt &#x017F;ehr dumpf und feierlich, und ver&#x017F;chwand<lb/>
in dem dunklen Gange, &#x017F;o daß meine Bangig¬<lb/>
keit noch &#x017F;ta&#x0364;rker wurde und ich &#x017F;chier ha&#x0364;tte<lb/>
die Kerze aus der zitternden Hand fallen la&#x017F;¬<lb/>
&#x017F;en mo&#x0364;gen. Aber der Prior, der, ob &#x017F;einer<lb/>
Fro&#x0364;mmigkeit und Sta&#x0364;rke im Glauben, nach<lb/>
Ge&#x017F;pen&#x017F;tern nicht viel fra&#x0364;gt, faßte mich beim<lb/>
Arm und &#x017F;agte: nun wollen wir in die Zelle<lb/>
des Bruders Medardus treten. Das ge¬<lb/>
&#x017F;chah denn auch. Wir fanden den Bruder,<lb/>
der &#x017F;chon &#x017F;eit einiger Zeit &#x017F;ehr &#x017F;chwach wor¬<lb/>
den, im Sterben, der Tod hatte ihm die<lb/>
Zunge gebunden, er ro&#x0364;chelte nur noch was<lb/>
weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[371/0379] der Zelle, und ein wunderlicher großer Mann, mit weißem krauſen Bart, in einem violetten Mantel, ſchritt heraus; ich war ſehr erſchrok¬ ken, denn ich wußte wohl, daß der Mann ein drohendes Geſpenſt ſeyn mußte, da die Kloſterpforten feſt verſchloſſen waren, mit¬ hin kein Fremder eindringen konnte; aber Leonardus ſchaute ihn keck an, jedoch ohne ein Wort zu ſagen. „Die Stunde der Er¬ fuͤllung iſt nicht mehr fern, ſprach die Ge¬ ſtalt ſehr dumpf und feierlich, und verſchwand in dem dunklen Gange, ſo daß meine Bangig¬ keit noch ſtaͤrker wurde und ich ſchier haͤtte die Kerze aus der zitternden Hand fallen laſ¬ ſen moͤgen. Aber der Prior, der, ob ſeiner Froͤmmigkeit und Staͤrke im Glauben, nach Geſpenſtern nicht viel fraͤgt, faßte mich beim Arm und ſagte: nun wollen wir in die Zelle des Bruders Medardus treten. Das ge¬ ſchah denn auch. Wir fanden den Bruder, der ſchon ſeit einiger Zeit ſehr ſchwach wor¬ den, im Sterben, der Tod hatte ihm die Zunge gebunden, er roͤchelte nur noch was weniges. Leonardus blieb bei ihm, und ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/379
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Die Elixiere des Teufels. Bd. 2. Berlin, 1816, S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_elixiere02_1816/379>, abgerufen am 29.04.2024.