Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

jemand es für vermessenen Frevel halten kann,
Menschen zu bilden, sei es durch Mahlerei, oder
Plastik." Wie in bitterm Hohn lachte Ber¬
thold
auf: "Ha ha -- Kinderspiel ist kein Fre¬
vel! -- Kinderspiel ist's wie Sie's machen, die
Leute, die getrost ihre Pinsel in die Farbentöpfe
stecken und eine Leinwand beschmieren, mit der
wahrhaftigen Begier, Menschen darzustellen; aber
es kommt so heraus, als habe, wie es in jenem
Trauerspiele steht, irgend ein Handlanger der
Natur versucht Menschen zu bilden, und es sei
ihm mißlungen. -- Das sind keine freveliche
Sünder, das sind nur arme unschuldige Narren!
Aber Herr! -- wenn man nach dem Höchsten
strebt -- nicht Fleischeslust, wie Titian -- nein
das Höchste der göttlichen Natur, der Prometheus¬
funken im Menschen -- Herr! -- es ist eine
Klippe -- ein schmaler Strich, auf dem man
steht -- der Abgrund ist offen! -- über ihm
schwebt der kühne Segler und ein teuflischer Trug
läßt ihn unten -- unten das erblicken, was er

jemand es fuͤr vermeſſenen Frevel halten kann,
Menſchen zu bilden, ſei es durch Mahlerei, oder
Plaſtik.“ Wie in bitterm Hohn lachte Ber¬
thold
auf: „Ha ha — Kinderſpiel iſt kein Fre¬
vel! — Kinderſpiel iſt's wie Sie's machen, die
Leute, die getroſt ihre Pinſel in die Farbentoͤpfe
ſtecken und eine Leinwand beſchmieren, mit der
wahrhaftigen Begier, Menſchen darzuſtellen; aber
es kommt ſo heraus, als habe, wie es in jenem
Trauerſpiele ſteht, irgend ein Handlanger der
Natur verſucht Menſchen zu bilden, und es ſei
ihm mißlungen. — Das ſind keine freveliche
Suͤnder, das ſind nur arme unſchuldige Narren!
Aber Herr! — wenn man nach dem Hoͤchſten
ſtrebt — nicht Fleiſchesluſt, wie Titian — nein
das Hoͤchſte der goͤttlichen Natur, der Prometheus¬
funken im Menſchen — Herr! — es iſt eine
Klippe — ein ſchmaler Strich, auf dem man
ſteht — der Abgrund iſt offen! — uͤber ihm
ſchwebt der kuͤhne Segler und ein teufliſcher Trug
laͤßt ihn unten — unten das erblicken, was er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0236" n="228"/>
jemand es fu&#x0364;r verme&#x017F;&#x017F;enen Frevel halten kann,<lb/>
Men&#x017F;chen zu bilden, &#x017F;ei es durch Mahlerei, oder<lb/>
Pla&#x017F;tik.&#x201C; Wie in bitterm Hohn lachte <hi rendition="#g">Ber¬<lb/>
thold</hi> auf: &#x201E;Ha ha &#x2014; Kinder&#x017F;piel i&#x017F;t kein Fre¬<lb/>
vel! &#x2014; Kinder&#x017F;piel i&#x017F;t's wie Sie's machen, die<lb/>
Leute, die getro&#x017F;t ihre Pin&#x017F;el in die Farbento&#x0364;pfe<lb/>
&#x017F;tecken und eine Leinwand be&#x017F;chmieren, mit der<lb/>
wahrhaftigen Begier, Men&#x017F;chen darzu&#x017F;tellen; aber<lb/>
es kommt &#x017F;o heraus, als habe, wie es in jenem<lb/>
Trauer&#x017F;piele &#x017F;teht, irgend ein Handlanger der<lb/>
Natur ver&#x017F;ucht Men&#x017F;chen zu bilden, und es &#x017F;ei<lb/>
ihm mißlungen. &#x2014; Das &#x017F;ind keine freveliche<lb/>
Su&#x0364;nder, das &#x017F;ind nur arme un&#x017F;chuldige Narren!<lb/>
Aber Herr! &#x2014; wenn man nach dem Ho&#x0364;ch&#x017F;ten<lb/>
&#x017F;trebt &#x2014; nicht Flei&#x017F;cheslu&#x017F;t, wie <hi rendition="#g">Titian</hi> &#x2014; nein<lb/>
das Ho&#x0364;ch&#x017F;te der go&#x0364;ttlichen Natur, der Prometheus¬<lb/>
funken im Men&#x017F;chen &#x2014; Herr! &#x2014; es i&#x017F;t eine<lb/>
Klippe &#x2014; ein &#x017F;chmaler Strich, auf dem man<lb/>
&#x017F;teht &#x2014; der Abgrund i&#x017F;t offen! &#x2014; u&#x0364;ber ihm<lb/>
&#x017F;chwebt der ku&#x0364;hne Segler und ein teufli&#x017F;cher Trug<lb/>
la&#x0364;ßt ihn unten &#x2014; unten <hi rendition="#g">das</hi> erblicken, was er<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0236] jemand es fuͤr vermeſſenen Frevel halten kann, Menſchen zu bilden, ſei es durch Mahlerei, oder Plaſtik.“ Wie in bitterm Hohn lachte Ber¬ thold auf: „Ha ha — Kinderſpiel iſt kein Fre¬ vel! — Kinderſpiel iſt's wie Sie's machen, die Leute, die getroſt ihre Pinſel in die Farbentoͤpfe ſtecken und eine Leinwand beſchmieren, mit der wahrhaftigen Begier, Menſchen darzuſtellen; aber es kommt ſo heraus, als habe, wie es in jenem Trauerſpiele ſteht, irgend ein Handlanger der Natur verſucht Menſchen zu bilden, und es ſei ihm mißlungen. — Das ſind keine freveliche Suͤnder, das ſind nur arme unſchuldige Narren! Aber Herr! — wenn man nach dem Hoͤchſten ſtrebt — nicht Fleiſchesluſt, wie Titian — nein das Hoͤchſte der goͤttlichen Natur, der Prometheus¬ funken im Menſchen — Herr! — es iſt eine Klippe — ein ſchmaler Strich, auf dem man ſteht — der Abgrund iſt offen! — uͤber ihm ſchwebt der kuͤhne Segler und ein teufliſcher Trug laͤßt ihn unten — unten das erblicken, was er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/236
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/236>, abgerufen am 04.05.2024.