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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817.

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Stande auch nur einen Strich weiter an dem
Bilde zu zeichnen. Er verließ seinen Meister,
und streifte voll wilder Unruhe umher und flehte
laut, daß die höhere Erkenntniß, von der der
Maltheser gesprochen, ihm aufgehen möge. --

"Nur in süßen Träumen war ich glücklich --
selig. Da wurde Alles wahr, was der Malthe¬
ser gesprochen. Ich lag von zauberischen Düften
umspielt im grünen Gebüsch, und die Stimme
der Natur ging vernehmbar im melodisch klin¬
genden Wehen durch den dunklen Wald. --
"Horch -- horch auf -- Geweihter! -- Vernimm
die Urtöne der Schöpfung, die sich gestalten zu
Wesen deinem Sinn empfänglich." -- Und indem
ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen
hörte, war es, als sei ein neuer Sinn in mir
erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das er¬
faßte, was mir unerforschlich geschienen. -- Wie
in seltsamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir
aufgeschlossene Geheimniß mit Flammenzügen in
die Lüfte; aber die Hieroglyphen-Schrift war

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Stande auch nur einen Strich weiter an dem
Bilde zu zeichnen. Er verließ ſeinen Meiſter,
und ſtreifte voll wilder Unruhe umher und flehte
laut, daß die hoͤhere Erkenntniß, von der der
Maltheſer geſprochen, ihm aufgehen moͤge. —

„Nur in ſuͤßen Traͤumen war ich gluͤcklich —
ſelig. Da wurde Alles wahr, was der Malthe¬
ſer geſprochen. Ich lag von zauberiſchen Duͤften
umſpielt im gruͤnen Gebuͤſch, und die Stimme
der Natur ging vernehmbar im melodiſch klin¬
genden Wehen durch den dunklen Wald. —
„Horch — horch auf — Geweihter! — Vernimm
die Urtoͤne der Schoͤpfung, die ſich geſtalten zu
Weſen deinem Sinn empfaͤnglich.“ — Und indem
ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen
hoͤrte, war es, als ſei ein neuer Sinn in mir
erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das er¬
faßte, was mir unerforſchlich geſchienen. — Wie
in ſeltſamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir
aufgeſchloſſene Geheimniß mit Flammenzuͤgen in
die Luͤfte; aber die Hieroglyphen-Schrift war

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[257/0265] Stande auch nur einen Strich weiter an dem Bilde zu zeichnen. Er verließ ſeinen Meiſter, und ſtreifte voll wilder Unruhe umher und flehte laut, daß die hoͤhere Erkenntniß, von der der Maltheſer geſprochen, ihm aufgehen moͤge. — „Nur in ſuͤßen Traͤumen war ich gluͤcklich — ſelig. Da wurde Alles wahr, was der Malthe¬ ſer geſprochen. Ich lag von zauberiſchen Duͤften umſpielt im gruͤnen Gebuͤſch, und die Stimme der Natur ging vernehmbar im melodiſch klin¬ genden Wehen durch den dunklen Wald. — „Horch — horch auf — Geweihter! — Vernimm die Urtoͤne der Schoͤpfung, die ſich geſtalten zu Weſen deinem Sinn empfaͤnglich.“ — Und indem ich die Akkorde deutlicher und deutlicher erklingen hoͤrte, war es, als ſei ein neuer Sinn in mir erwacht, der mit wunderbarer Klarheit das er¬ faßte, was mir unerforſchlich geſchienen. — Wie in ſeltſamen Hieroglyphen zeichnete ich das mir aufgeſchloſſene Geheimniß mit Flammenzuͤgen in die Luͤfte; aber die Hieroglyphen-Schrift war R

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 1. Berlin, 1817, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke01_1817/265>, abgerufen am 22.05.2024.