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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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[N]acht Daniel vor der Thüre des Saals. So wie
er den Freiherrn die zum Thurm führende Thür
öffnen hörte, trat er hinein und dem Freiherrn
nach, der dicht an dem Abgrunde stand. Der
Freiherr drehte sich um und rief, als er den ver¬
ruchten Diener, dem der Mord schon aus den Au¬
gen blitzte, gewahrte, entsetzt: "Daniel, Daniel,
was machst du hier zu dieser Stunde!" Aber da
kreischte Daniel wild auf: "Hinab mit dir, du
räudiger Hund," und schleuderte mit einem kräf¬
tigen Fußstoß den Unglücklichen hinunter in die
Tiefe! -- Ganz erschüttert von der gräßlichen Un¬
that fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schlos¬
se, wo sein Vater ermordet. Er ging auf seine
Güter nach Curland und kam nur jedes Jahr zur
Herbstzeit nach R..sitten. Franz, der alte
Franz, behauptete, daß Daniel, dessen Verbrechen
er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds spuke
und beschrieb den Spuk gerade so, wie ihn V. spä¬
ter erfuhr und bannte. -- Die Entdeckung dieser
Umstände, welche das Andenken des Vaters schän¬

[N]acht Daniel vor der Thuͤre des Saals. So wie
er den Freiherrn die zum Thurm fuͤhrende Thuͤr
oͤffnen hoͤrte, trat er hinein und dem Freiherrn
nach, der dicht an dem Abgrunde ſtand. Der
Freiherr drehte ſich um und rief, als er den ver¬
ruchten Diener, dem der Mord ſchon aus den Au¬
gen blitzte, gewahrte, entſetzt: „Daniel, Daniel,
was machſt du hier zu dieſer Stunde!“ Aber da
kreiſchte Daniel wild auf: „Hinab mit dir, du
raͤudiger Hund,“ und ſchleuderte mit einem kraͤf¬
tigen Fußſtoß den Ungluͤcklichen hinunter in die
Tiefe! — Ganz erſchuͤttert von der graͤßlichen Un¬
that fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schloſ¬
ſe, wo ſein Vater ermordet. Er ging auf ſeine
Guͤter nach Curland und kam nur jedes Jahr zur
Herbſtzeit nach R..ſitten. Franz, der alte
Franz, behauptete, daß Daniel, deſſen Verbrechen
er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds ſpuke
und beſchrieb den Spuk gerade ſo, wie ihn V. ſpaͤ¬
ter erfuhr und bannte. — Die Entdeckung dieſer
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[249/0257] Nacht Daniel vor der Thuͤre des Saals. So wie er den Freiherrn die zum Thurm fuͤhrende Thuͤr oͤffnen hoͤrte, trat er hinein und dem Freiherrn nach, der dicht an dem Abgrunde ſtand. Der Freiherr drehte ſich um und rief, als er den ver¬ ruchten Diener, dem der Mord ſchon aus den Au¬ gen blitzte, gewahrte, entſetzt: „Daniel, Daniel, was machſt du hier zu dieſer Stunde!“ Aber da kreiſchte Daniel wild auf: „Hinab mit dir, du raͤudiger Hund,“ und ſchleuderte mit einem kraͤf¬ tigen Fußſtoß den Ungluͤcklichen hinunter in die Tiefe! — Ganz erſchuͤttert von der graͤßlichen Un¬ that fand der Freiherr keine Ruhe auf dem Schloſ¬ ſe, wo ſein Vater ermordet. Er ging auf ſeine Guͤter nach Curland und kam nur jedes Jahr zur Herbſtzeit nach R..ſitten. Franz, der alte Franz, behauptete, daß Daniel, deſſen Verbrechen er ahnde, noch oft zur Zeit des Vollmonds ſpuke und beſchrieb den Spuk gerade ſo, wie ihn V. ſpaͤ¬ ter erfuhr und bannte. — Die Entdeckung dieſer Umſtaͤnde, welche das Andenken des Vaters ſchaͤn¬

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/257>, abgerufen am 25.05.2024.