Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

Bild:
<< vorherige Seite

um hast du auch die steinerne Taube über der
Thür auf's neue vergolden lassen?" Der Alte
lächelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu er¬
wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock
abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange
her noch wohlgebürstet über der Stuhllehne hing,
angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den
Mund zur Frage öffnen konnte, stand er schon,
sein Sammtmützchen unterm Arm, so daß sein
silberweißes Haupt in der Dämmerung hell auf¬
schimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen
ein Diener geöffnet. Eine ältliche Frau im grauen
Reisemantel stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine
hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhülltem Antlitz
die auf des Bürgermeisters Arm gestützt, in das
Haus hinein mehr wankte als schritt, und kaum
in's Zimmer getreten, wie halb entseelt in den
Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten
Wink schnell herangerückt. Die ältere Frau sprach
leise und sehr wehmüthig zu dem Bürgermeister:
"Das arme Kind!" -- "ich muß wohl noch einige

um haſt du auch die ſteinerne Taube uͤber der
Thuͤr auf's neue vergolden laſſen?“ Der Alte
laͤchelte ſchlau und bedeutſam ohne etwas zu er¬
wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock
abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange
her noch wohlgebuͤrſtet uͤber der Stuhllehne hing,
angezogen, und ehe die ganz erſtaunte Frau den
Mund zur Frage oͤffnen konnte, ſtand er ſchon,
ſein Sammtmuͤtzchen unterm Arm, ſo daß ſein
ſilberweißes Haupt in der Daͤmmerung hell auf¬
ſchimmerte, vor dem Kutſchenſchlage, den indeſſen
ein Diener geoͤffnet. Eine aͤltliche Frau im grauen
Reiſemantel ſtieg aus dem Wagen, ihr folgte eine
hohe jugendliche Geſtalt mit dicht verhuͤlltem Antlitz
die auf des Buͤrgermeiſters Arm geſtuͤtzt, in das
Haus hinein mehr wankte als ſchritt, und kaum
in's Zimmer getreten, wie halb entſeelt in den
Lehnſtuhl ſank, den die Hausfrau auf des Alten
Wink ſchnell herangeruͤckt. Die aͤltere Frau ſprach
leiſe und ſehr wehmuͤthig zu dem Buͤrgermeiſter:
„Das arme Kind!“ — „ich muß wohl noch einige

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0263" n="255"/>
um ha&#x017F;t du auch die &#x017F;teinerne Taube u&#x0364;ber der<lb/>
Thu&#x0364;r auf's neue vergolden la&#x017F;&#x017F;en?&#x201C; Der Alte<lb/>
la&#x0364;chelte &#x017F;chlau und bedeut&#x017F;am ohne etwas zu er¬<lb/>
wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock<lb/>
abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange<lb/>
her noch wohlgebu&#x0364;r&#x017F;tet u&#x0364;ber der Stuhllehne hing,<lb/>
angezogen, und ehe die ganz er&#x017F;taunte Frau den<lb/>
Mund zur Frage o&#x0364;ffnen konnte, &#x017F;tand er &#x017F;chon,<lb/>
&#x017F;ein Sammtmu&#x0364;tzchen unterm Arm, &#x017F;o daß &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;ilberweißes Haupt in der Da&#x0364;mmerung hell auf¬<lb/>
&#x017F;chimmerte, vor dem Kut&#x017F;chen&#x017F;chlage, den inde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
ein Diener geo&#x0364;ffnet. Eine a&#x0364;ltliche Frau im grauen<lb/>
Rei&#x017F;emantel &#x017F;tieg aus dem Wagen, ihr folgte eine<lb/>
hohe jugendliche Ge&#x017F;talt mit dicht verhu&#x0364;lltem Antlitz<lb/>
die auf des Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ters Arm ge&#x017F;tu&#x0364;tzt, in das<lb/>
Haus hinein mehr wankte als &#x017F;chritt, und kaum<lb/>
in's Zimmer getreten, wie halb ent&#x017F;eelt in den<lb/>
Lehn&#x017F;tuhl &#x017F;ank, den die Hausfrau auf des Alten<lb/>
Wink &#x017F;chnell herangeru&#x0364;ckt. Die a&#x0364;ltere Frau &#x017F;prach<lb/>
lei&#x017F;e und &#x017F;ehr wehmu&#x0364;thig zu dem Bu&#x0364;rgermei&#x017F;ter:<lb/>
&#x201E;Das arme Kind!&#x201C; &#x2014; &#x201E;ich muß wohl noch einige<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[255/0263] um haſt du auch die ſteinerne Taube uͤber der Thuͤr auf's neue vergolden laſſen?“ Der Alte laͤchelte ſchlau und bedeutſam ohne etwas zu er¬ wiedern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebuͤrſtet uͤber der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erſtaunte Frau den Mund zur Frage oͤffnen konnte, ſtand er ſchon, ſein Sammtmuͤtzchen unterm Arm, ſo daß ſein ſilberweißes Haupt in der Daͤmmerung hell auf¬ ſchimmerte, vor dem Kutſchenſchlage, den indeſſen ein Diener geoͤffnet. Eine aͤltliche Frau im grauen Reiſemantel ſtieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Geſtalt mit dicht verhuͤlltem Antlitz die auf des Buͤrgermeiſters Arm geſtuͤtzt, in das Haus hinein mehr wankte als ſchritt, und kaum in's Zimmer getreten, wie halb entſeelt in den Lehnſtuhl ſank, den die Hausfrau auf des Alten Wink ſchnell herangeruͤckt. Die aͤltere Frau ſprach leiſe und ſehr wehmuͤthig zu dem Buͤrgermeiſter: „Das arme Kind!“ — „ich muß wohl noch einige

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/263
Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/263>, abgerufen am 27.04.2024.