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[Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817.

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gen. Ihr Zustand litt keine strenge ascetische
Uebungen, und indem ihre Hülflosigkeit ihr die
Menschen, welche sie mit liebender Sorgfalt pfleg¬
ten, aufnöthigte, gewöhnte sie sich mehr und
mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen,
die nun die Kranke warten, ihr selbst die nahr¬
hafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß
in dieser häuslichen Sorge alles Böse, was ihr
sonst über die räthselhafte Fremde in den Sinn
gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß
ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel
der Schande dienen sollte. Der Alte jubelte ganz
verjüngt und hätschelte den Knaben, als sey ihm
ein Enkelkind geboren, und er, wie Alle übrige,
hatten sich daran gewöhnt, daß Cölestine ver¬
schleiert blieb, ja selbst während der Entbindung.
Die Wehmutter hatte ihr schwören müssen, daß,
trete ja ein Zustand der Bewußtlosigkeit ein, doch
die Schleier nicht gelüpft werden sollten, außer
von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todes¬
gefahr. Es war gewiß, daß die Alte Cölestinen

gen. Ihr Zuſtand litt keine ſtrenge ascetiſche
Uebungen, und indem ihre Huͤlfloſigkeit ihr die
Menſchen, welche ſie mit liebender Sorgfalt pfleg¬
ten, aufnoͤthigte, gewoͤhnte ſie ſich mehr und
mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen,
die nun die Kranke warten, ihr ſelbſt die nahr¬
hafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß
in dieſer haͤuslichen Sorge alles Boͤſe, was ihr
ſonſt uͤber die raͤthſelhafte Fremde in den Sinn
gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß
ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel
der Schande dienen ſollte. Der Alte jubelte ganz
verjuͤngt und haͤtſchelte den Knaben, als ſey ihm
ein Enkelkind geboren, und er, wie Alle uͤbrige,
hatten ſich daran gewoͤhnt, daß Coͤleſtine ver¬
ſchleiert blieb, ja ſelbſt waͤhrend der Entbindung.
Die Wehmutter hatte ihr ſchwoͤren muͤſſen, daß,
trete ja ein Zuſtand der Bewußtloſigkeit ein, doch
die Schleier nicht geluͤpft werden ſollten, außer
von ihr, der Wehmutter ſelbſt, im Fall der Todes¬
gefahr. Es war gewiß, daß die Alte Coͤleſtinen

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[267/0275] gen. Ihr Zuſtand litt keine ſtrenge ascetiſche Uebungen, und indem ihre Huͤlfloſigkeit ihr die Menſchen, welche ſie mit liebender Sorgfalt pfleg¬ ten, aufnoͤthigte, gewoͤhnte ſie ſich mehr und mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten, ihr ſelbſt die nahr¬ hafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß in dieſer haͤuslichen Sorge alles Boͤſe, was ihr ſonſt uͤber die raͤthſelhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen ſollte. Der Alte jubelte ganz verjuͤngt und haͤtſchelte den Knaben, als ſey ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie Alle uͤbrige, hatten ſich daran gewoͤhnt, daß Coͤleſtine ver¬ ſchleiert blieb, ja ſelbſt waͤhrend der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr ſchwoͤren muͤſſen, daß, trete ja ein Zuſtand der Bewußtloſigkeit ein, doch die Schleier nicht geluͤpft werden ſollten, außer von ihr, der Wehmutter ſelbſt, im Fall der Todes¬ gefahr. Es war gewiß, daß die Alte Coͤleſtinen

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Zitationshilfe: [Hoffmann, E. T. A.]: Nachtstücke. Bd. 2. Berlin, 1817, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoffmann_nachtstuecke02_1817/275>, abgerufen am 25.05.2024.